Der Sieg – eine Kette von Niederlagen

»Die Ästhetik des Widerstands« in der DDR – Briefwechsel zwischen Peter Wess und Manfred Haiduk

  • Jens-Fietje Dwars
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Foto zeigt die ehemalige Mordstätte in Berlin-Plötzensee.
Das Foto zeigt die ehemalige Mordstätte in Berlin-Plötzensee.

Seine Freude war unermesslich«, so Manfred Haiduk über Peter Weiss, als der im Februar 1981 erfuhr, dass »Die Ästhetik des Widerstands« nun endlich auch in der DDR erscheinen sollte. 1975 hatte Suhrkamp den ersten Band der Trilogie herausgebracht, der Aufbau-Verlag aber, dem Weiss den Roman zur gleichen Zeit anbot, durfte ihn nicht drucken. Obwohl der Antifaschismus in der DDR Staatsdoktrin war – oder gerade deshalb?

Der jahrzehntelang gefeierte Sieg über den Faschismus – in der »Ästhetik des Widerstands« wurde er als eine Kette furchtbarer Niederlagen kenntlich, denen die Tapfersten, Geradlinigsten, Feinfühligsten zum Opfer fielen. Während in Buchenwald die Erinnerung an die Opfer zur steinernen Totenbeschwörung erstarrte, zur gespenstischen Mahnung, die Macht um jeden Preis zu erhalten, unternahm Peter Weiss das genaue Gegenteil: »Rings um uns hoben sich die Leiber aus dem Stein«, beginnt der erste Band, der den zu Tode gerühmten Helden des Widerstandes und mehr noch den Namenlosen wieder ein Gesicht gab, ihre Sehnsüchte, Wünsche, Zweifel und Hoffnungen zur Sprache brachte, ihre widerständige Lebenskraft.

Wie schwierig es war, einem solchen Buch im Bücherland DDR den Weg zu bahnen, das erfährt der Leser aus dem vorliegenden Briefwechsel zwischen Weiss und Haiduk. Kennen gelernt haben sich beide im Frühjahr 1965, als das »Marat/Sade«-Stück in Rostock aufgeführt wurde. Das BE hatte das Duell zwischen dem Revolutionär Marat und dem radikalen Aufklärer de Sade, der die inneren Gefängnisse sprengen und keine Lügen dulden wollte, als konterrevolutionär abgelehnt. Hanns Anselm Perten dagegen brachte das Stück auf die Bühne und ließ sich dabei von Hans Joachim Bernhard und Manfred Haiduk, zwei Germanisten der Rostocker Universität, beraten. Damals stand noch das Wort im Vordergrund, es wurde um einen Sinn gerungen, der das Spiel für die Sinne trägt.

Nüchterne Analyse war das Credo Haiduks, dessen Sachlichkeit Weiss um so mehr schätzte, je schillernder seine Stücke anderswo inszeniert wurden. So wuchs aus der Arbeitsbeziehung eine lebenslange Freundschaft. Der deutsche Dramatiker jüdischer Abstammung war 1939 nach Schweden geflohen und blieb auch nach 1945 im Exil. Zunächst noch als Maler, ganz auf seine Kunst fixiert, verfolgte er den Weg beider deutscher Staaten mit Misstrauen. Seine frühen Schreibversuche wurden von Suhrkamp abgelehnt. Ein Jahrzehnt lang experimentierte er mit dem Film, bis 1959 die Zeitschrift »Akzente« Passagen aus seinem Mikroroman »Der Schatten des Körpers des Kutschers« brachte. »Marat/Sade« machte aus dem Namenlosen einen Autor von Weltrang.

Doch der plötzlich Umjubelte, der sich lange als Unzugehöriger fühlte, sah nun schärfer denn je, dass die Welt geteilt war. Und nicht nur in Ost und West. Der Titel, unter dem die Herausgeber den Briefwechsel edieren, ist irreführend: Weiss war nicht »diesseits«, Haiduk nicht »jenseits der Grenze« – weil für beide die entscheidende Trennlinie zwischen Oben und Unten, Mächtigen und Ohnmächtigen verlief. Als sich Weiss 1965 mit seinen »10 Arbeitspunkten eines Autors in der geteilten Welt« zum Sozialismus bekennt und in der »Ermittlung« Auschwitz als Extrem des Kapitalismus deutet, wird er im Westen verhöhnt. Seine nächsten Stücke (»Gesang vom Lusitanischen Popanz«, »Viet Nam Diskurs«) wollen in den antikolonialen Kampf der Dritten Welt eingreifen, der ihm wichtiger erscheint als das Patt der Supermächte.

Als Weiss im Leninjahr 1970 mit einem Trotzki-Stück den Stalinismus aufzuarbeiten beginnt, erklärt ihn die DDR zur Persona non grata. Haiduks Monografie über den Dramatiker wird nicht ausgeliefert. Eine bittere Zeit für die Freunde, die beide am Druck der Außenwelt erkranken. 1974 intensiviert sich ihr Briefwechsel erneut. Während sein »Hölderlin« in Rostock aufgeführt wird, schreibt Weiss an der Trilogie über den Widerstand, der all das zur Sprache bringen soll, was nicht nur ihm den Atem raubt: das Oben und Unten in den eigenen Reihen, diese Selbstzerfleischung der Aufbegehrenden, die sie immer wieder scheitern lässt. Und doch, heißt es bei Weiss zugleich, bleibt die Hoffnung, wird sie vorgelebt von denen, die einen anderen Umgang miteinander wagen.

Als »Die Ästhetik des Widerstands« 1983 in der DDR erscheint, ist ihr Autor verstorben. Doch hat er noch miterlebt, wie Haiduk in seinem Auftrag den Urtext des dritten Bandes wiederherstellte. Denn das Suhrkamp-Lektorat hatte glättend eingegriffen, das Widerborstige der Sprache abgeschwächt, und Weiss, erschöpft von der Mammutarbeit, den Veränderungen zugestimmt, die er später als Entmündigung empfand. So wurde die Edition bei Henschel, dank des Freundes, zur mustergültigen Ausgabe letzter Hand.


WARUM
wird im Land der antifaschistischen Staatsdoktrin ein Großepos des Widerstands nicht gedruckt?

WARUM
wird ein Tapferer wie Peter Weiss in der DDR zur Persona non grata?

WARUM
hatte der Stalinismus so große Macht über die Menschen?

WARUM
kein »Trotzki«-Stück im Leninjahr?

Diesseits und jenseits der Grenze. Peter Weiss, Manfred Haiduk. Der Briefwechsel 1965-1982. Hrsg. von Rainer Gerlach, Jürgen Schutte. Geleitwort: Gunilla Palmstierna-Weiss. Röhrig Universitätsverlag St. Ingbert. 297 S., geb., 38 €.

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