Hart, weich oder gar nicht?

Darf man Israel boykottieren – das ist in der deutschen Linken umstritten. Die Erinnerung an die NS-Zeit ist zu stark

Die Linksfraktion im Bundestag hat ihren Mitgliedern und Mitarbeitern verboten, sich an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte zu beteiligen. Bis dahin war vielen Linken in und außerhalb der Partei gar nicht bekannt, dass es eine Kampagne mit dem Kürzel BDS – Boykott, Desinvestition, Sanktionen – überhaupt gibt. Und die davon wussten, etwa in der Friedensbewegung, verfuhren in der Mehrheit nach dem Motto: nicht mitmachen und nicht drüber reden, dann gibt es weniger Ärger. Der Grund für die Zurückhaltung ist einfach. »Boykottiert israelische Produkte« weckt Assoziationen an die antisemitische Kampagne der Nazis »Kauft nicht bei Juden!« Die Kampagne könnte Antisemitismus befördern, so die Befürchtung.

Von den Initiatoren gewollt ist eine andere Assoziation: nämlich an die internationale Boykottkampagne gegen Südafrika, die sich gegen die Diskriminierung der Schwarzen richtete. Ermuntert durch den Abzug Israels aus dem Gaza-Streifen im Jahr 2005 riefen über 170 palästinensische Organisationen die internationale Gemeinschaft auf, Waren und Unternehmen aus Israel zu boykottieren, Investitionen abzuziehen und Sanktionen zu verhängen, bis das Land internationalem Recht nachkomme und die Menschenrechte der Palästinenser achte. Für sie ist Israel ein Apartheidstaat. Und wie einst Südafrika soll daher auch Israel boykottiert werden: Obst, Gemüse und Blumen, die oftmals in den besetzten Gebieten angebaut werden, internationale Konzerne, die sich am Mauerbau beteiligen oder Geld in die Siedlungen stecken. Universitäten im Ausland sollen ihre Kontakte nach Israel auf Eis legen, Künstler werden aufgefordert, ihre Auftritte abzusagen.

Für die palästinensischen Organisationen ist die Kampagne ein Akt der Verzweiflung: Sie startete ein Jahr, nachdem der Internationale Gerichtshof den Verlauf der israelischen Sperranlange für völkerrechtswidrig erklärt hatte, was aber ohne praktische Folgen in der internationalen Politik blieb. Alle Versuche, Israel an internationales Recht zu binden, seien gescheitert, sagen sie. Nun solle auf anderem Wege Druck gemacht werden.

International unterstützt eine Reihe Prominenter die BDS-Kampagne, etwa der linke Sprachwissenschaftler Noam Chomsky aus den USA und Erzbischof Desmond Tutu aus Südafrika. Aktionen richten sich gegen Trinkwassersprudler von Soda-Club genauso wie gegen Totes-Meer-Kosmetik der Firma Ahava, die in Siedlungen in besetzten den Gebieten hergestellt werden. Boykottiert werden Datteln, Kräuter und Zitrusfrüchte, die von der Firma Carmel/Agrexco ins Ausland exportiert werden. Die Kritik: Das Obst und Gemüse werde zum Großteil in den besetzen Gebieten angebaut, aber als israelische Produkte verkauft, um auf diesem Wege von den für Israel geltenden Zollvergünstigungen der Europäischen Union zu profitieren. Der Europäische Gerichtshof hat diese Praxis Anfang 2010 für illegal erklärt, da die Siedlungen nicht in den Geltungsbereich des Assoziierungsabkommens EU-Israel fallen.

Im Sinne der palästinensischen Initiatoren war auch der Protest gegen die Beteiligung der Deutschen Bahn an einem Schnellbahnprojekt zwischen Tel Aviv und Jerusalem. Für die Strecke durch die Westbank soll Land der Palästinenser enteignet werden, die gleichzeitig von der Nutzung der Bahn ausgeschlossen sind. Der Druck war erfolgreich. Die Bundesregierung pfiff die Bahn zurück.

Der BDS-Aufruf richtete sich vor allem ans Ausland, aber auch in Palästina selbst boykottieren seither vermehrt Menschen Waren aus Israel, zumindest, wenn es eigene Äquivalente gibt. Auch in Israel schlossen sich linke jüdische Aktivisten an. »Die Besatzung wird nicht enden, es sei denn, die Israelis verstehen, dass sie einen Preis hat«, begründet der Politikwissenschaftler Neve Gordon seine Unterstützung, mit der er freilich einer verschwindend kleinen Minderheit angehört. Gordon wehrt sich gegen den Vorwurf, antisemitische Ressentiments zu schüren: Die Kampagne richte sich nicht gegen Israel, sondern gegen die israelische Politik. Wenn die Politik sich ändere, werde die Kampagne enden, argumentiert er.

In Deutschland hat die Kampagne außerhalb der Palästina-Soliarbeit und des engeren Antiimperalismus-Spektrums nur wenige Freunde. Die Kritiker finden, dass mit einer einseitigen Schuldzuweisung der Konflikt im Nahen Osten nicht befriedet werden könne. Vor allem aber finden sie, dass Boykottaufrufe gegen Israel, mit welcher Begründung auch immer, letztlich doch an Vorurteile gegenüber Juden anknüpfen.

Es gibt daher hierzulande keine große Organisation, die den Komplettboykott des BDS-Aufrufs unterstützt. In offenen Briefen und Appellen werben vor allem die diversen deutsch-palästinensischen Soli-Gruppen und Einzelpersonen um Unterstützung. Etwa Martin Forberg, Mitglied bei der Internationalen Liga für Menschenrechte, der eine BDS-Gruppe in Berlin gegründet hat, oder die Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost. Erst vor ein paar Tagen forderte der Zusammenschluss linker Juden in einem Schreiben an die Linkspartei Solidarität mit der BDS-Kampagne, die als friedlicher Widerstand der Palästinenser den »Selbstmordterror« abgelöst habe. Andere versuchen vor dem Hintergrund der Antisemitismus-Debatte, Distanz zur palästinensischen Kampagne zu wahren, auch wenn sie selbst Aktivitäten unterstützen, die in eine ähnliche Richtung zielen. So empfehlen die Friedensorganisationen IPPNW und Pax Christi, auf den Kauf von Siedlungsprodukten zu verzichten.

Die Unterstützer wissen um die Kritik. Die deutsche BDS-Internetseite hat deshalb zum Beispiel den Namen geändert. Statt »Boykott gegen Israel« heißt es nun: »Boykott für Palästina«. In Flugblättern wird stets betont, das Ziel der Aktion sei ein gerechter Frieden im Nahen Osten, ein Ausgleich zwischen Juden und Palästinensern. Ihr Hauptsatz lautet: »Der Boykott für ein Ende der Besatzung ist genausowenig antisemitisch, wie es anti-weiß war, Südafrika zu boykottieren, um ein Ende der Apartheid zu erreichen.«

Doch nicht immer gelingt es den Palästina-Soligruppen, zwischen dem Boykott Israels und einem Boykott gegen Juden zu unterscheiden. So rief in Italien die kleine linksradikale Handelsgewerkschaft »Flaica« im Sommer 2009 dazu auf, nicht in Geschäften im Besitz von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde einzukaufen, um gegen den Gaza-Krieg zu protestieren.

Ähnliche Entgleisungen hat es in Deutschland in den letzten Jahren nicht gegeben. Auch ist nicht bekannt, dass die Neonazi-Szene direkt auf die BDS-Kampagne aufspringt. Boykottaufrufe gegen Israel gehören allerdings zu ihrem Standardrepertoire, erklären die Rechtsextremismusexperten vom Antifaschistischen Pressearchiv apabiz. Im Netz finden sich dafür zahllose Beispiele. So forderte etwa die NPD Hamburg anlässlich des Gaza-Kriegs »unsere Mitbürger« auf, keine Waren aus Israel mehr zu kaufen bzw. nicht dorthin zu verreisen, da dadurch der Kriegskurs Israels unterstützt werde. »Verhalten wir uns solidarisch gegenüber den Palästinensern, boykottieren wir Israel, wo es geht!«, endet der NPD-Aufruf.

^Das Problem der BDS-Bewegung bleibt. Eine Kampagne braucht knackige Formeln. Aktionen erst recht. Und da zeigt sich, dass in Slogans die bei dem Thema Israel notwendige Differenzierung ungleich schwerer ist. So vertreibt die Schweizer BDS-Plattform Aufkleber mit dem Spruch »Israelische Produkte – Nein danke!«, darunter steht dann in deutlich kleinerer Schrift: »Bis Israel das Völkerrecht einhält und die legitimen Rechte des palästinensischen Volkes anerkennt«. Im Angebot ist auch ein roter Sticker »Boykott Apartheid made in Israel«. Und in Bremen schreckten Palästina-Aktivisten nicht davor zurück, ausgerechnet mit umgehängten Schildern vor einem Lebensmittelgeschäft »Boykottiert israelische Früchte« zu fordern.


Wie weit der Boykott sinnvoll ist, – das ist auch unter denen umstritten, die die Kampagne grundsätzlich bejahen. Es gibt – grob eingeteilt – drei Haltungen:

• Die einen finden nur den Komplettboykott inhaltlich logisch: Man könne besetzte Gebiete und Israel nicht trennen. Die Rechte der Palästinenser würden auch innerhalb Israels missachtet bzw. israelische Politiker seien für den Weiterbau von Siedlungen und Mauer verantwortlich, lautet die Begründung. So beschloss die britische Lehrer-Gewerkschaft UCU (University and College Union) den Abbruch der Beziehungen mit Histadrut, dem Dachverband der Gewerkschaften Israels. Die Musiker Elvis Costello und Carlos Santana sagten ihre Konzerte in Israel ab. In Berlin protestierte eine Handvoll Leute gegen die Teilnahme der Schaubühne am Israel-Festival 2011 in Jerusalem und verteilte bei der Internationalen Tourismusbörse Flugblätter gegen Reisen ins Gelobte Land.

• Die zweite Variante boykottiert ausschließlich Siedlungsprodukte und stellt sich meist nicht in den BDS-Zusammenhang. Die Unterscheidung ist nicht unwesentlich: Die Botschaft, dass man nicht antisemitisch, sondern gegen die Besatzung motiviert ist, transportiert sich deutlicher, wenn nicht ganz Israel, sondern nur die Siedlungen boykottiert werden. Aus diesem Grund will sich auch Gush Shalom nicht der harten Linie verschreiben. Die israelische Friedensorganisation will zudem etwas anderes aussagen als die Vertreter des Komplettboykotts: Im Gegenteil, sagt Gush Shalom, die Siedler sind nicht Israel, sondern Ultra-Rechte. Der »weiche Boykott« soll demnach einen Keil zwischen die Siedler und die Israelis im Kernland treiben.
Diesen Ansatz unterstützen auch prominente israelische Künstler, die ein Theater in der Siedlung Ariel nicht bespielen wollen. Zahlreiche US-Schauspieler, der Architekt Frank Gehry und Dirigent Daniel Barenboim haben sich ihrer politischen Erklärung angeschlossen.

• Manche wollen die Diskussion um »hart« oder »weich« umgehen, indem sie den Boykott von Siedlungsprodukten in den Vordergrund stellen, um letztlich aber doch die »harte Kante« zu verbreiten. »Kaufen Sie keine israelischen Waren, erst recht keine aus den illegalen Siedlungen«, heißt es dann etwa auf einem Flugblatt der Palästina/Nahost-Initiative Heidelberg, das sich an Kunden und Geschäftsleitung von Lebensmittelläden richtete. IW

Stichwort: »Boykott, Desinvestment und Sanktionen« (BDS)

Die von palästinensischen Organisationen initiierte Kampagne »Boykott, Desinvestment und Sanktionen« (BDS) will Druck auf Israel ausüben, um eine gerechte Lösung im Verhältnis zu den Palästinensern herbeizuführen. Die drei genannten Ziele sind: ein Ende der Besatzung, vollständige Gleichberechtigung der arabisch-palästinensischen Bürger Israels, das Rückkehrrecht von 1949 vertriebenen Flüchtlingen.

Vorgestellt wurde die BDS-Kampagne im Jahr 2005 beim Weltsozialforum. Ein größeres internationales Echo gab es aber erst vier Jahre später, nach dem Gaza-Krieg. So rief das Weltsozialforum 2009 in seiner Abschlusserklärung zu einem weltweiten Solidaritätsaktionstag für Palästina auf, bei dem für die Boykottmaßnahmen und den Entzug von Investitionen gegenüber israelischen und internationalen Unternehmen geworben werden sollte, die »die israelische Apartheid und Besatzung aufrechterhalten«. Ein nächster wichtiger Schritt insbesondere für die Rezeption im christlichen Teil der Friedensbewegung war eine Initiative christlicher Bischöfe, Theologen und Laien Palästinas im Dezember 2009, die sich dem Aufruf zu BDS anschlossen. Der Appell, der inzwischen weit über 1500 Unterzeichner gefunden hat, nennt sich »Kairos-Palästina-Dokument«, in Anlehnung an einen ähnlichen Aufruf südafrikanischer Kirchen von 1985. Zu den Mitverfassern gehören der lutherische Bischof von Jerusalem, Munib Younan, der Patriarch Michel Sabbah sowie der Pastor der Weihnachtskirche in Bethlehem, Mitri Raheb.

International unterstützen zahlreiche Prominente die Boykottkampagne: Erzbischof Desmond Tutu aus Südafrika, bekannte Globalisierungskritiker wie der Linguist Noam Chomsky und die Journalistin Naomi Klein, die Schriftstellerinnen Arundhati Roy und Alice Walker, der britische Filmregisseur Ken Loach, jüdische Friedensaktivisten wie Evelyn Hecht-Galinsiki, die Tochter des 1992 verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski.

In vielen Ländern Europas finden regelmäßig Aktionen von BDS-Gruppen statt. In Deutschland ist die Kampagne sehr umstritten, insbesondere die Boykottaufrufe gegen israelische Produkte. Andere Aspekte von BDS sind es weniger, zum Beispiel Aktionen, die Regierungen, Banken oder Unternehmen auffordern, Rüstungsexporte zu stoppen oder Gelder für Infrastrukturprojekte in Siedlungen zurückzuziehen.

Das israelische Parlament behandelte kürzlich ein Gesetz, mit dem inländische Organisationen und Personen, die den Boykott von Israel unterstützen, mit hohen Strafen belegt werden könnten. Für Nicht-Israelis ist ein zehnjähriges Einreiseverbot geplant. IW

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