Gezerre um Ein-Euro-Jobs

München will »Zusätzlichkeit« streichen

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 3 Min.
Die bayerische Landeshauptstadt München will sich dafür einsetzen, dass Ein-Euro-Jobs künftig nicht mehr grundsätzlich das Kriterium der »Zusätzlichkeit« haben müssen. Ein Beschluss im zuständigen Ausschuss des Stadtrates von Ende Juni fordert die Möglichkeit, im »Rahmen des lokalen Arbeitsmarkt- und Integrationsprogramms von dieser Begrenzung abzuweichen«, so dass somit auch eine »›marktnahe‹ Beschäftigung durch Soziale Träger möglich wird«.

Damit soll das lokale Münchner Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramm (MBQ) weiter möglich sein. Demgegenüber fordert die Stadträtin der Linkspartei, Dagmar Henn, die Umwandlung der Ein-Euro-Jobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.

In München existiert seit 1984 ein geförderter Zweiter Arbeitsmarkt. Im laufenden Jahr unterstützt die Stadt mit zehn Millionen Euro mehr als 30 sogenannte »Soziale Betriebe«, dort sind rund 2000 Personen pro Jahr beschäftigt. In diesen sozialen Betrieben verrichten – in Zusammenarbeit mit dem Jobcenter – Langzeitarbeitslose im Rahmen von Ein-Euro-Jobs durchaus »marktnahe« Dienstleistungen: Zum Beispiel im Bürodienst, bei der Fahrzeugwartung von »Carsharing«-Anbietern, bei der Wiederverwertung von Auto- und Elektroschrott, in gastronomischen Betrieben, beim Betrieb von Gebrauchtwarenhäusern und im Rahmen von Umzügen, bei Entrümpelungen und Renovierungen.

Massive Verdrängung

Die Stadt sieht diese Arbeitsgelegenheiten als »wichtiges Instrument zur Wiedereingliederung von auf dem Münchner Arbeitsmarkt besonders benachteiligten, langzeitarbeitslosen Personen«. Dieses MBQ-Beschäftigungsprogramm ist zum einen das »zentrale, arbeitsmarktpolitische Instrument« der SPD-regierten Stadt München. Zum anderen stellt es mit einem Fördervolumen von insgesamt über 28 Millionen Euro nach städtischen Angaben »deutschlandweit das größte kommunale Beschäftigungsprogramm seiner Art« dar. Damit könnte es nun vorbei sein, so jedenfalls die Sorge des Münchner Arbeitsreferates. Denn das Berliner Sozialministerium will – nach dem Motto »Das Ministerium hat's gegeben, das Ministerium hat's genommen« – die 2005 erfundenen Ein-Euro-Jobs massiv zurückfahren und so Milliarden Euro einsparen. Dazu sollen die Fördervoraussetzungen »Zusätzlichkeit« und »öffentliches Interesse« festgeschrieben und darüber hinaus die »Wettbewerbsneutralität der Arbeiten« als eigenständige Fördervoraussetzung aufgenommen werden.

Das galt zwar alles bisher schon, aber nicht in der Realität, wie eine Rüge des Bundesrechnungshofes zeigte. Er hatte bemängelt, dass es durch die Ein-Euro-Jobs zu massiven Verdrängungen von regulärer Beschäftigung komme.

Warnung vor »Amoklauf«

Dies gelte aber nicht für München, meint Münchens Wirtschaftsreferent Dieter Reiter in einer Presseerklärung. Wenn die Reform der Ein-Euro-Jobs so komme, wie derzeit diskutiert wird, »gefährdet sie den in München existierenden, öffentlich geförderten Beschäftigungssektor mit seiner Vielzahl an marktnahen Betrieben in seinem Bestand. Dies wäre umso bedauerlicher, als mengenmäßig nie eine Gefährdung von den Betrieben des Zweiten Arbeitsmarktes für die Unternehmen in der Stadt mit ihren mehr als 690 000 Beschäftigten ausgegangen ist.« Durch Kriterien wie »Zusätzlichkeit« würden die Langzeitarbeitslosen in den Sozialen Betrieben »endgültig in marktferne Arbeiten und Aufgaben abgedrängt« und die »Brückenfunktion in den ersten Arbeitsmarkt« erlöschen.

LINKE-Stadträtin Henn dagegen warnt: Bei einer Aufweichung der »Zusätzlichkeit«-Klausel drohe ein bundesweiter arbeitsmarktpolitischen »Amoklauf«. Für Henn liegt »der Ausweg aus dem Problem, das die Münchner Beschäftigungsprojekte jetzt haben«, in der Umwandlung der Ein-Euro-Jobs in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse, heißt es in ihrem vom Stadtratsausschuss inzwischen abgelehnten Änderungsantrag.

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