Großreinemachen in Ungarns Medien

Nach Ende der EU-Ratspräsidentschaft begann Entlassungswelle in Rundfunk und Fernsehen

  • Gábor Kerényi, Budapest
  • Lesedauer: 2 Min.
Ausgerechnet an jenem Tag, als Ungarns Premier Viktor Orbán ein letztes Mal als EU-Ratspräsident vor dem Europäischen Parlament auftrat, begann eine der größten Säuberungswellen der ungarischen Mediengeschichte.

Im Verlauf der ersten Woche einer zweifellos konzertierten Aktion wurden nicht weniger als 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Rundfunks und Fernsehens gekündigt, darunter bestens bekannte und beleumdete Journalisten, viele Träger hoher Auszeichnungen. Zu den Entlassenen gehört auch die einzige der Volksgruppe der Roma angehörende bekannte Reporterin. So ernst meint man es im ungarischen Geburtsland der EU-Roma-Strategie mit der Integration.

Von der augenblicklichen Entlassungswelle werden insgesamt 550 Personen betroffen sein, eine nächste Welle ist für den Herbst geplant, insgesamt will man dem Vernehmen nach über 1000 Journalisten loswerden.

In der Praxis sieht der Abschied so aus, dass die Betroffenen in alphabetischer Reihenfolge ins Büro zitiert werden, wo für jeden von ihnen ganze zehn Minuten vorgesehen sind. Eine Begründung für die Kündigung gibt es nicht, denn laut dem neuen Mediengesetz, das zu Jahresanfang in Kraft trat, kann jeder ohne Begründung mit einer Zweimonatsfrist aus dem öffentlichen Dienst entlassen werden.

Ganz im gewohnten Stil verkoppelt Ministerpräsident Orbán seine Maßnahme auch diesmal mit Drohungen. Regierungssprecherin Ágnes Cserháti teilte der Presse mit: »Anspielungen darauf, dass die Auswahl der Betroffenen politisch motiviert sei, stellen eine schwere Anschuldigung dar, die von den Urhebern bewiesen werden muss, gegebenenfalls auch vor Gericht.«

Unterdessen ist eine zweite Operation angelaufen, die darauf zielt, auch private Sender mundtot zu machen. Das »Klubradio«, vielleicht der letzte Sender, der sich offen zu linksliberalen Positionen bekennt, musste schon wiederholt um seine Existenz bangen. Zuerst wurde versucht, den Sender finanziell zu zermürben, namentlich durch den Entzug öffentlicher Werbeschaltungen. Daraufhin riefen Sympathisanten eine Aktion ins Leben, in deren Rahmen sich jedermann für 50 Euro zehn Minuten Sendezeit »kaufen« kann. Auf diese Weise war das »Klubradio« erst einmal gerettet.

Nun aber muss der Sender sich um die eigene Frequenz neu bewerben, wobei die Ausschreibung offensichtlich so gestaltet ist, dass er gar keine Chance hat, die Frequenz wieder zugesprochen zu bekommen. Auch das Entscheidungskomitee wird selbstredend durchgehend von Parteigängern Viktor Orbáns beherrscht.

Nur eine Frage bleibt da noch: Hatte Orbán als EU-Ratspräsident derart panische Angst vor der zahnlosen EU, dass er die Entlassungen auf die Woche nach dem Ende der ungarischen Ratspräsidentschaft verlegte?

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