Vom Don Quichote zum Königsritter

»Wir wollen glauben«: Frankreich liegt seinem Tourhelden Thomas Voeckler zu Füßen

  • Tom Mustroph,
  • Lesedauer: 3 Min.

Saint-Paul-Trois-Châteaux

»Da ist er. Das ist der Mann im Gelben Trikot, der die Tour de France anführt«, sagt ein Vater und hebt seinen gut dreijährigen Sohn hoch, damit der einen Blick auf den von Zuschauermassen umringten Thomas Voeckler erhaschen kann. Seit der einheimische 32-jährige Radprofi das Führungstrikot der Tour de France nicht nur erobert und mehrfach verteidigt hat, sondern auch gleichauf mit einstmals Lichtjahre entfernt scheinenden Fahrern wie Alberto Contador (Spanien) die Berge hochstiefelt, ist in Frankreich ein ganz neues Tourfieber entfacht.

Thomas Voeckler begann die Tour de France als ein Don Quichote. Er ließ sich zum Tourauftakt in der Vendée mit den dort weit verbreiteten Windmühlen auf ein Plakat setzen. Der gebürtige Elsässer, der auf der Antilleninsel Martinique aufwuchs und inzwischen in der Vendée seine Heimat gefunden hat, verband mit diesen in der gesamten Region verbreiteten Bildwerken lokales Kolorit mit der ihm auf den Leib geschriebenen Rolle eines Mannes außerhalb seiner Zeit. So wie Cervantes' literarischer Held sich in einer von ihm als profan empfundenen Epoche an das Ritterideal des Hochmittelalters klammerte, so verkörperte Voeckler in einer vom Doping geprägten Ära des Radsports das Ideal des sauberen Sportlers: Trotz der Leistungsnachteile, die ein Verzicht auf Doping mit sich brachte, gelang ihm wenigstens einmal ein Streich gegen die pharmazeutisch aufgerüstete Konkurrenz. 2004 eroberte er in einer mit zwölf Minuten Vorsprung ins Ziel gekommenen Ausreißergruppe das Gelbe Trikot. Zwar war es damals nur eine Frage der Zeit, wann dieses Textil auf den Schultern des Seriensiegers Lance Armstrong landen würde. Aber Voeckler hielt immerhin zehn Tage lang den ungleichen Kampf durch. Das verschaffte ihm landesweite Sympathien. »Er ist einer von uns; einer, der ehrlich ist, der sich verausgabt, der etwas erreicht, dem am Ende aber die Großen alles wieder abnehmen«, erklärt mit melancholischem Stolz der Wirt einer Kneipe, in der Voecklers Windmühlenplakat den Schankraum beherrscht.

Die Erinnerung an diesen Streich Voecklers und die leise Hoffnung auf eine Wiederholung lagen der Plakataktion zugrunde. Doch mittlerweile hat der Heros diese Hoffnung übertroffen. Er eroberte in diesem Jahr nicht nur zum zweiten Mal das Gelbe Trikot. Er holte und er verteidigte es auf eine neue Art. Statt gewaltiger zwölf Minuten Vorsprung wie 2004 gestattet ihm das Peloton lediglich vier Minuten. Erreichte er vor sieben Jahren in den Folgeetappen abgekämpft und erschöpft und mit mehreren Minuten Rückstand auf Armstrong & Co. die Gipfel, so fuhr er jetzt munter im Kreis der Favoriten mit und lancierte sogar selbst eine Attacke. Sein alter Jäger Lance Armstrong hält ihn nun für fähig, die Tour zu gewinnen. Thomas Voeckler ist kein Ritter von der traurigen Gestalt mehr, sondern einer in schimmernder Rüstung.

»Wir haben Lust, an ihn zu glauben«, titelte die Sportzeitung »L'Equipe« doppelsinnig. Der eine Teil der Lust besteht darin, Voeckler zuzutrauen, das Gelbe Trikot tatsächlich bis nach Paris zu tragen. Und der zweite darin, dass Voeckler dies Kunststück tatsächlich dopingfrei gelingt.

Die Tour de France profitiert von Voecklers Heldenstück. Massen umlagern den Bus seines Teams Europcar. Ausgerechnet dessen Farbe signalisiert jedoch, wo die Prioritäten der Tour de France tatsächlich liegen. Um der Markenfarbe des Sponsors entgegenzukommen, hellten die Tourorganisatoren ein wenig die Farben des Grünen Trikots für den besten Sprinter auf. Der Grünton eines Sponsors hat mehr Gewicht als der Grünton des zweitwichtigsten Wertungstrikots des Rennens. Thomas Voeckler bleibt ein Don Quichote bei der Tour de France. Nahm er vor sieben Jahren diese Rolle als sauberer Fahrer im Pharmaziepeloton ein, so ist er es jetzt als Sportler in einer rollenden Dauerwerbeveranstaltung namens Tour de France.

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