Japans Bürger übernehmen Strahlenmessung

Initiative untersucht radioaktive Verseuchung nach dem GAU im Atomkraftwerk Fukushima

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.
Die japanische Politik setzt auch Monate nach der Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima ihre mangelhafte Informationspolitik fort. Das Misstrauen in der Bevölkerung ist entsprechend groß. Nun haben die Bürger angefangen, selber die Verstrahlung in der Region zu messen.

Es gebe keinen Grund zur Besorgnis, vermelden derzeit die japanischen Behörden. In drei Reaktoren des stark beschädigten Atomkraftwerks Fukushima sei es zwar zu Kernschmelzen gekommen, aber die Strahlung stelle akut kein Problem für die Gesundheit der Bevölkerung dar.

Viele Japaner schenken jedoch den Verlautbarungen ihrer Regierung, die im Frühjahr sehr spät über das tatsächliche Ausmaß des AKW-Unfalls berichtet hatte, keinen Glauben mehr. Um die Menschen unabhängig zu informieren, hat die Bürgerinitiative zur Messung radioaktiver Strahlung (CRMS) damit begonnen, selber Untersuchungen durchzuführen. Insgesamt sollen in allen 47 Präfekturen Japans Messstationen errichtet werden. Die erste Station in Fukushima hat ihre Arbeit bereits aufgenommen. Langfristig will die Bürgerinitiative ein internationales Netzwerk aufbauen und Spenden sammeln, um den Strahlenopfern zu helfen.

CRMS kritisiert, dass die Messungen der Regierung, die mit denen der Initiative zumeist übereinstimmen, lediglich punktuell durchgeführt werden. »Bei Lebensmitteln wird nur eine Probe entnommen. Wenn diese unbedenklich ist, wird die gesamte Lieferung freigegeben«, erklärte Wataru Iwata, Vorstandsmitglied der CRMS, die gestern auf Einladung der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW und der Gesellschaft für Strahlenschutz in Berlin war.

Bisher haben die meisten Bewohner der Präfektur Fukushima weder eine Ganzkörpermessung noch Urin- und Blutuntersuchungen erhalten. Die innere Strahlenbelastung wird nun von der Bürgerinitiative untersucht. »Wir messen auch die Strahlung in Lebensmitteln, Wasser und Boden«, sagte Iwata. Um Beratungen über die gesundheitlichen Folgen insbesondere für Kinder anzubieten, habe CRMS außerdem den Kontakt zu Wissenschaftlern und Ärzten gesucht.

Das ist in Japan nicht immer einfach. Denn viele Ärzte sind ebenso wie Politiker von der Einschätzung des angeblichen Nuklearexperten Shunichi Yamashita beeinflusst, der an der Universität Nagasaki angestellt ist. Yamashita hatte nach dem GAU behauptet: »Strahlenschäden kommen nicht zu Menschen, die glücklich sind und lächeln. Sie kommen zu Leuten, die verzagt sind.« Die Gefahr, an Krebs zu erkranken, steige nur leicht, wenn die Strahlung 100 Millisievert überschreite.

Statistiken belegen aber, dass dieser Wert eine Krebserkrankung auf 100 Personen verursacht. In Sievert wird die biologische Wirkung der radioaktiven Strahlung auf Menschen, Tiere oder Pflanzen angegeben.

Bei einem Nachbeben am 31. Juli waren am AKW Fukushima mehr als zehn Sievert pro Stunde gemessen worden. »Bisher hat es hierzu keine ausführliche Erklärung des Kraftwerksbetreibers Tepco gegeben«, monierte Iwata. Tepco habe die Lage offensichtlich noch immer nicht unter Kontrolle.

Insbesondere die Gesundheit der japanischen Kinder ist durch die hohe Strahlung gefährdet. Darauf machte Winfrid Eisenberg, IPPNW-Mitglied und Kinderarzt, aufmerksam. »Kinder sind um ein Vielfaches strahlensensibler als Erwachsene«, sagte Eisenberg. Im Nordosten Japans müsse davon ausgegangen werden, dass vor allem Kinder, die jetzt bis zu vier Jahre alt sind, vermehrt an Schilddrüsenkrebs erkranken. Ab 2016 sei zudem mit einem deutlich häufigeren Auftreten von Leukämie zu rechnen.

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