Betriebswirtschaftliches Denken

Neues Buch zu Gewerkschaften nach der Krise erschienen

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.
Aus der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise sind die Gewerkschaften in den kapitalistischen Zentren geschwächt hervorgegangen. Zu dem Schluss kommt das Buch »Gewerkschaftliche Modernisierung«.

Seit Jahren versuchen sich die Gewerkschaften mit unterschiedlichen Mitteln dem drohenden Bedeutungsverlust durch Mitgliederrückgänge und wachsende tarifvertragsfreie Zonen entgegenzusteuern. In dem im VS-Verlag erschienenen Buch »Gewerkschaftliche Modernisierung« ziehen 15 Gewerkschafter und gewerkschaftsnahe Forscher eine erste Bilanz dieser Erneuerungsbemühungen. Herausgegeben wurde das Buch vom Jenaer Soziologieprofessor Klaus Dörre und Thomas Haipeter, Leiter der Abteilung Arbeitszeit und Arbeitsorganisation des Instituts Arbeit und Qualifikation und Privatdozent an der Universität Duisburg-Essen.

Hoffnungen von Gewerkschaftslinken, die Krise des korporatistischen Gewerkschaftsmodells werde kämpferische Positionen stärken, haben sich kaum erfüllt. Vielmehr nimmt auch unter Betriebsräten und Gewerkschaften das betriebswirtschaftliche Denken zu, so das Fazit von fünf Kapiteln, die sich detailliert mit den gewerkschaftlichen Erneuerungsansätzen in der Metall- und Elektroindustrie von Nordrhein Westfalen befassen. Betriebsräte und Gewerkschaftler wollen dort im Rahmen der »Besser statt billiger«-Kampagne nachweisen, dass sie den Standort besser als die Manager verteidigen können.

Dabei sind Betriebsräte auch bereit, Arbeitszeitverlängerung und Akkorderhöhungen mitzutragen, wie verschiedene Autoren detailliert schildern. Trotzdem sehen die Forscher einen Erfolg dieser gewerkschaftlichen »Besser statt Billiger«-Strategien in der Stärkung des Selbstbewussteins der Belegschaft, die ihr Expertenwissen einbringen kann. Während sich allerdings in den 80er Jahren gewerkschaftliche Aktivisten noch für Strategien der Produktionsumstellung vor allem im Bereich der Rüstungsindustrie einsetzten, rief die IG-Metall im Herbst 2010 zum Widerstand gegen Kürzungen beim Rüstungshaushalt auf.

»Arbeiter und Gewerkschaftsbewegungen gehen zumindest in den kapitalistischen Zentren geschwächt aus der Krise hervor«, so das ernüchternde Fazit des Jenaer Soziologen Klaus Dörre im Abschlusskapitel. Dort zeigt er auf, wie die IG-Metall durch ihre Einbindung in einen »Krisenkorparatismus« in den letzten Jahren die Arbeitsplätze für die Stammbelegschaft in zentralen Betrieben gesichert, aber auch zu einer weiteren Aufspaltung des Arbeitsmarktes beigetragen hat. Durch die enorme Ausweitung der prekären Beschäftigungsverhältnisse in den Krisenjahren drohen Gewerkschaften wie die IG-Metall als Interessenvertreter der Stammbelegschaft den Anspruch zu verlieren, die Interessen der Lohnabhängigen insgesamt zu vertreten.

Hajo Holst und Ingo Matuschek zeigen an Hand einer Untersuchung in einem Betrieb mit rund 6000 Beschäftigten und guter IG-Metall-Verankerung auf, wie ein betriebswirtschaftliches Denken, das sich vor allem um die Rettung des Standorts dreht, zu einer Entsolidarisierung mit Erwerbslosen und Leiharbeitern führt. Die wurden von einer Mehrheit der Befragten nur unter dem Aspekt des Nutzens für den Betrieb gesehen. Dass es auch anders geht, zeigt die Nürnberger Soziologin Ingrid Artus am Beispiel eines von der Gewerkschaft CGT unterstützten Streiks von Papierlosen in Frankreich. Eine differenzierte Bewertung der gewerkschaftlichen Schlecker- und Lidl-Kampagne sowie wie eine Untersuchung des Einflusses von Arbeitskämpfen auf die gewerkschaftliche Mitgliederentwicklung komplettieren ein Buch, das einen ernüchternd realistischen Blick auf den Zustand der Gewerkschaften in Deutschland wirft.

Haipeter, Thomas / Dörre, Klaus (Hg.): Gewerkschaftliche Modernisierung, VS-Verlag, 2011, 304 S., 34,95 Euro.

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