Namen – nur Schall und Rauch?

Kritik an der Umbenennung des indischen Unionsstaates Westbengalen

  • Hilmar König, Delhi
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Regierung des indischen Unionsstaates Westbengalen hat mit vollem Einverständnis der Opposition eine Namesänderung beschlossen. Sie wird wirksam, wenn dazu das Innenministerium und das Parlament in Delhi sowie die Staatspräsidentin ihren Segen erteilt haben. Doch das scheint kein Problem zu sein. Dennoch hat der »Wechsel« vom englischen West Bengal ins bengalische »Paschim Banga« in der Bevölkerung Verwunderung und sogar Kritik ausgelöst. Denn es handelt sich eigentlich nur um eine wörtliche Übersetzung der englischen Bezeichnung. Die hauptsächliche Begründung dafür lieferte der westbengalische Parlamentsminister Partha Chatterjee: Auf Treffen, bei denen alle 29 Unionsstaaten Repräsentationen machten, kam West Bengal gemäß der alphabetischen Reihenfolge stets zuletzt zu Wort. Zu diesem Zeitpunkt seien die Anwesenden oft schon ermüdet gewesen und hätten nicht mehr zugehört.

Die Kritiker finden dieses Argument absurd, weil die Namensänderung von W – wie West Bengal – zu P – wie Paschim Banga – ja nicht gerade einen Riesensprung nach oben in der alphabetischen Reihenfolge darstellt. Zudem sei diese Bezeichnung ohnehin nicht relevant, weil es kein Ostbengalen gibt. Sie erinnere nur an die schmerzliche Teilung Bengalens, an Massenflucht, Massaker, Entwurzelung und Zerreißen von Familien im Jahre 1947, als Indien unabhängig und Pakistan geboren wurde. Das überwiegend von Hindus bewohnte Westbengalen wurde indischer Unionsstaat. Das damalige mehrheitlich muslimische Ostbengalen wurde Pakistan zugeschlagen, erkämpfte sich 1971 die Unabhängigkeit und heisst seitdem Bangladesch.

Zur Auswahl standen für die Umbenennung überwiegend Namen, die mit B beginnen und den Unionsstaat damit an die Spitze des Alphabets katapultiert hätten: Bangla (Bengalen), Banglabhumi (Bengalische Heimat) oder Banga. Aber das war den Politikern alles zu nahe am Namen des Nachbarn Bangladesch und hätte ihrer Ansicht nach zu Verwechslungen führen können. Deshalb die simple Übersetzung des alten Namens.

Dem war bereits vor Jahren unter der Linksfront-Regierung die Namensänderung der westbengalischen Hauptstadt Kalkutta in Kolkata vorausgegangen. Das wiederum folgte einem Trend, anglizierte aus der Kolonialzeit stammende Wörter in die jeweilige Regionalsprache bzw. die ursprüngliche Form zu transferieren. Dafür gab und gibt es historische, regionale, lokalpatriotische und mitunter auch innen- oder parteipolitische Gründe. So wurde aus Madras, der Hauptstadt Tamil Nadus, Chennai, aus Bombay Mumbai, aus Trivandrum Thiruvananthapuram, aus Panjim Panaji, aus Cochin Kochi, aus Vizag Vishakapatnam, aus Bangalore Bengaluru oder aus dem Unionsterritorium Pondicherry Puducherry.

Über weitere Änderungen denkt man nach: Aus Delhi könnte dann Indraprastha, aus Patna Patliputra, aus Hyderabad Bhagyanagaram, aus den Unionsstaaten Kerala Keralam und Orissa Odisha werden.

Auf einem ganz anderen Blatt steht, dass solche Namenswechsel enorme Geldsummen verschlingen – für neue Schilder, Stempel, Briefköpfe, Visitenkarten, das Drucken neuer Anschriften, Atlanten, Stadtpläne, Fahrpläne, Reiseführer usw. Auch in diesem Zusammenhang fragen die Kritiker nach dem Sinn der Umbenennungen: Gibt es nichts Wichtigeres zu tun? Reduziert sich damit die noch immer verbreitete Armut? Wird irgendeins der vielfältigen sozialen Probleme gemindert oder gar gelöst? Die Politiker überhören solche Fragen geflissentlich.

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