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Es ist das schlechte Gewissen

Dok-Festival Leipzig

  • Heinz Kersten
  • Lesedauer: 2 Min.

Manchmal ist das schwer auszuhalten: Man sitzt im bequemen Kinosessel und sieht auf der Leinwand Bilder, die einen empören oder Scham empfinden lassen. Im Eröffnungsfilm des 54. Leipziger Dok-Festivals »Special Flight« von Fernand Melgar aus der Schweiz »Abschiebehäftlinge« in einem Genfer Knast, die auf ihre »Ausschaffung« warten, wie das die Eidgenossen nennen. Manche hatten schon lange in der Schweiz gelebt. Wer von ihnen die Rückkehr in ihre Herkunftsländer verweigert, muss mit einem »Spezialflug« rechnen, begleitet von drei Polizisten. Man kennt das auch aus Deutschland, es gab bei solcher Prozedur schon Todesfälle. Die Festung Europa kennt kein Erbarmen.

Dok-Leipzig bleibt seiner politischen Tradition treu. An sie erinnert, dass zum ersten Mal nach längerer Zeit wieder ein Beitrag aus Vietnam auf dem Programm steht. »With or without me« von Swann Bubus und Tran Phuong Thao im Internationalen Nachwuchswettbewerb zeugt aber auch vom Wandel der Zeit: zwei junge Männer, die an der Nadel hängen und dem Aids-Tod ins Auge sehen.

Standen einst Vietnam und Chile im Fokus Leipziger Aktualität und Gegeninformation, so ist es heute vor allem der Aufbruch in der arabischen Welt. Sechs Filme reflektieren das Thema aus der Innenperspektive Beteiligter und liefern bessere Einsichten als die vorwiegend aus westlichem Blickpunkt vermittelten TV-Berichte. Amal Ramsis macht in »Forbidden« deutlich, wie eine in Verboten eingemauerte ägyptische Gesellschaft am Vorabend der Revolution nach Veränderung schrie. Drei Filme über Tunesien setzen sich mit der schleichenden Islamisierung vor dem Umbruch auseinander, aber auch mit den danach schon wieder restaurativen Tendenzen, gegen die »Guerilla-Künstler« mit »ästhetischem Terrorismus« Widerstand leisten.

Aktuell auch der wohl makaberste Beitrag im Internationalen Wettbewerb »War Matador« von Avner Faingulernt aus Israel, der Landsleute zeigt, die an der Grenze dem Bombardement Gazas applaudieren. Auf andere Weise verstörend der einzig konkurrierende deutsche Beitrag von Carmen Losmann »Work Hard - Play Hard«. Schöne neue Arbeitswelt, angekündigt als »human capital, das in non territorial work spaces taskorientiert performt oder in assessment center durchleuchtet wird«.

341 Filme aus 47 Ländern, für sieben Tage ein Mammutprogramm. Aus der Vielfalt hervorhebenswert: Bei Hommagen kann man Arbeiten von Jürgen Böttcher und Gitta Nickel wiederbegegnen. Leipzigs Angebot macht deutlich, welch ein Potenzial darin für das Fernsehen stecken könnte - für Information, Aufklärung und Bildung.

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