Weiße Salbe auf brauner Kohle

Ein Lehrstück in Sachen Nicht-Ergrünen der Marktwirtschaft: das nordrhein-westfälische Klimaschutzgesetzchen

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 7 Min.
Die rot-grüne Landesregierung hat ein Klimaschutzgesetz in die parlamentarische Pipeline gejagt. Wird NRW jetzt zum Vorreiterland? Eher nicht. Vage formuliert, wenig ambitioniert, auf Wunsch der Wirtschaft kastriert, wird das Gesetz den Ansprüchen eines angemessenen Klimaschutzes nicht gerecht. Das liegt nicht nur an jener Kraft, die stets das für die Schmutzindustrie Gute will – sondern eben auch an den Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise. Also: Tschüssi, Vernunft, ade, saubere Technik!
Man kann Johannes Remmel nicht vorwerfen, kein ernster Kämpfer für die gute Sache gewesen zu sein. Als grüner Abgeordneter focht er im NRW-Landtag wacker für mehr Umwelt- und Klimaschutz – insbesondere in den fünf schwarz-gelben Jahren nach der Landtagswahl 2005. Damals war Remmel Opposition.

Heute ist er Regierung: Als Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen. In dieser Woche brachte die rot-grüne Landesregierung den Entwurf eines Klimaschutzgesetzes für das einwohnerstärkste Bundesland in den Landtag ein.

Remmels Gesetzentwurf wollte von Anfang an den nordrhein-westfälischen Ausstoß des Haupttreibhausgases Kohlendioxid um lediglich 20 Prozent senken. Zum Vergleich: Schwarz-Gelb im Bund strebt 40 Prozent an – im selben Zeitraum. Zwar hat NRW weniger Chancen, sich die Klimabilanz schön zu rechnen – im Bund wird stets die Deindustrialisierung der fünf neuen Bundesländer als Erfolg des Klimaschutzes abgefeiert. Doch hätte NRW weitaus größere Potenziale, seine Kohlendioxid-Bilanz real zu verbessern – wenn das »Energieland Nummer Eins« denn tatsächlich auf zuvörderst auf »mehr Erneuerbare Energie und eine dezentrale Energieversorgung« (Remmel) setzen würde. Die Realität indes schaut anders aus.

Remmels Gesetzentwurf wurde zudem industriefreundlich verwässert. Sodann wurden Informationen an die CDU-nahe »Rheinische Post« durchgesteckt, die schließlich berichtete, der Gesetzentwurf sei »deutlich entschärft« worden. Er komme nun »den Interessen der NRW-Industrie deutlich stärker« entgegen, so das Blatt. Die Unternehmen dürften nicht zu stark belastet, »Arbeitsplatzeffekte« müssten berücksichtigt werden. Der bisher vorgesehene Vorrang des Klimaschutzes entfalle ebenso wie die starke Kompetenz des Remmel-Ministeriums.

Die »Entschärfung« gehe auf die Initiative von Sozialdemokraten in der Landesregierung zurück. Das Blatt berief sich dabei auf »Regierungskreise«. »Grüne wollen mehr Ökoenergie, SPD-Wirtschaftsflügel bangt um Stromkonzerne RWE und E.on«, fasste die grünen-nahe »taz« den koalitionsinternen Konflikt zusammen.

Kein Wunder, wenn Rüdiger Sagel nicht begeistert ist. »Der Gesetzentwurf enthält viel zu viele Soll-Bestimmungen, er ist zu weich formuliert und definiert sehr wenig klare Ziele, die auch tatsächlich eingehalten werden müssen«, moniert der Vorstand der NRW-Linksfraktion. Die Kohlekraft sei darin ein Tabuthema, die Themen Energieeinsparung und Energieeffizienz kommen dem Linkspolitiker zu kurz.

Für Sagel wäre das Gesetz in dieser Form weiße Salbe – ein Placebo ohne Wirkstoffe. Es sei nicht einmal klar, ob wenigstens das Reduktionsziel von 20 Prozent damit zu erreichen wäre. Sagel befürchtet zudem, die Klimaschutzziele könnten der Energiewende weg vom Atomstrom zum Opfer fallen.


Mehr-Kohle-Kraft: »...nicht zu Lasten des Standortes«

Das ist nicht völlig aus der Luft gegriffen: Was die Energiewende nach Fukushima betrifft, so liegt NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gänzlich auf Linie des BDI.
Im Mai warnte Kraft davor, den von vielen als viel zu langsam empfundenen Atomausstieg durch »Deindustrialisierung« zu erkaufen. Ganz so, wie es die Industrie-Lobby, vielleicht eine Spur zu schrill, vorgeplappert hatte.

»Merkels Schnellschüsse«, tönte Kraft, »dürfen nicht zu Lasten des Standorts gehen«. Insbesondere aber forderte die Sozialdemokratin neue Kohlekraftwerke – mit Blick auf die »energieintensiven Industrien« in ihrem Bundesland, denen sie so »bezahlbare« Strompreise sichern will. Möge der Ausstoß des Haupttreibhausgases Kohlendioxid auch weiter steigen.

Und weiter heißt – noch weiter: Bereits jetzt ist NRW, das »Kernindustrie- und Kernenergieland in Deutschland« (Kraft), das am stärksten von alter Schmutz-Industrie geprägte Bundesland, für ein Drittel aller deutschen Kohlendioxid-Emissionen verantwortlich.

Neue Kohlekraftwerke? Sechs sind zwischen Rhein und Ruhr im Bau, ein siebtes, der besonders umstrittene »Schwarzbau« Datteln IV, hat auch mit grünem Segen eine zweite planungsrechtliche Chance bekommen. Weitere Neubauten sind möglich – der rot-grüne Koalitionsvertrag schließt diese Option durchaus nicht aus.


LINKE gegen »Klimakiller«

Und so reichte RWE unlängst denn auch eine »Anregung« bei der zuständigen Bezirksregierung Köln ein: Der Kohle- und Atomkonzern will zwei weitere Braunkohlekraftwerksblöcke in Bergheim-Niederaußem errichten.

Die LINKE im Landtag reagierte entsetzt: »Kein Klima-Killer in Niederaußem!«, fordert sie. Denn: »Das neue Kraftwerk wird bis Mitte des Jahrhunderts in Betrieb bleiben und somit Unmengen Kohlendioxid emittieren.« Reiner Priggen, Chef und Oberrealo der Grünen-Fraktion, hingegen begrüßte unisono mit seinem SPD-Pendant Norbert Römer den RWE-Vorstoß grundsätzlich. RWE wolle in »neue, flexible und wirkungsstarke Kraftwerksblöcke investieren«. Das sei, so Priggen, positiv.

Doch müsse man mit dem Energieriesen über eine »Gesamtstrategie« reden, die letztlich, so der Grüne, der ähnlich argumentiert wie die NRW-CDU, zu einer Verminderung der Braunkohleverbrennung führe.

Ein frommer Wunsch. »RWE hat immer wieder Versprechungen gebrochen.«, resümierte Bärbel Höhn, grüne Landesumweltministerin der Jahre 1995 bis 2005, vor vier Jahren ihre Erfahrungen mit dem in NRW mächtigen Konzern. Mehrfach habe RWE der seinerzeitigen Ministerin zugesagt, »die alten Kohlekraftwerke durch effizientere neuere zu ersetzen«.

Zwar kamen neue hinzu, doch die alten wurden weiter betrieben – unter der alten schwarz-gelben Landesregierung, wie Höhn zu recht monierte. Wer weiß, dass die Betonfraktion, die sich wirtschaftsfreundlich wähnt und doch nur den Interessen einiger Großkonzerne dient, die mit Abstand größte im NRW-Landtag blieb, der ahnt: Das wird auch unter Rot-Grün der Fall sein. So aber wird`s nix mit dem Klimaschutz.

Kapitalistischer Irrationalismus: Wirtschaft wächst, Klimabelastung auch

Nordrhein-Westfalen bewirbt sich selbst als siebzehntgrößte Volkswirtschaft der Welt. Die ist in weiten Teilen eine kapitalistische. In dieser Welt herrscht der Zwang zum Wirtschaftswachstum, oder in den Worten eines gewissen Karl Marx: zur erweiterten Akkumulation. Alle Fortschritte in Sachen Ökoeffizenz bei einzelnen Produkten und einzelnen Produktionsverfahren werden überkompensiert, weil immer mehr Schund, Tand und Plunder hergestellt wird.

Ein Erdbeerjoghurt wird mehr als 9000 Kilometer über den europäischen Kontinent gekarrt, bevor er auf dem Frühstückstisch landet. Das Ziel der Veranstaltung: Im Sinne des »Hauptsache billig!«-Prinzips gilt es, wirklich jeden Kostenvorteil mitzunehmen, mal in Rumänien, mal in Portugal, mal in Deutschland. Über 9000 Kilometer – die Zahl wurde in NRW errechnet. Allerdings schon in den 1990er-Jahren. Seitdem ist eine weitere »Transportinflation« (Winfried Wolf) zu konstatieren.
Das geschieht nicht nur auf dem Rücken der Beschäftigten und derjenigen, die unter dem Lärm und den Abgasen der LKWs leiden. Der Sparwahn belastet eben auch massiv das Klima. Preisfrage: Wo sind in Ihrem Joghurt eigentlich die Erdbeerstückchen?

Umweltverbände begrüßen den Gesetzentwurf – doch wo soll die Mehrheit herkommen?

Dieses Wirtschaftssystem als völlig irrational zu bezeichnen, wäre euphemistisch. Der Versuch, es sozial-ökologisch einzuhegen, muss scheitern. Man sieht es immer wieder – nun auch in der Debatte über ein Klimaschutzgesetz für das industriestärkste Bundesland.

Das wäre übrigens das erste seiner Art in Deutschland. Und so setzen die Umweltverbände auf das pädagogische Mittel namens positive Verstärkung: BUND und NABU »begrüßten« den Gesetzentwurf. Sie lobten: Damit werde »der Weg frei für eine zukunftsfähige Energiepolitik«. NRW setze mithin »bundesweit Maßstäbe«. Die Verbände schwiegen zur sonst heftig kritisierten Kohleverstromung – und forderten stattdessen Wirtschaft und Gewerkschaften zum Dialog auf. Schließlich appellierten sie an den Landtag, das Gesetz »jetzt zügig zu verabschieden«.

Das alles klingt ausgesprochen pragmatisch: Man will halt das in trockene Tücher bringen, was in trockene Tücher zu bringen ist – und sei es auch noch so verwässert. Doch gerade die letzte Forderung könnte zum Problem werden.

Wo soll die rot-grüne Minderheitsregierung die Stimmen herbekommen, die ihr im Landtag fehlen? Gewiss nicht von der CDU. Wohl auch nicht von der FDP, denn bei diesem Thema wird sie ihren neuen Kuschelkurs mit Rot-Grün verlassen – alles andere ginge zu sehr an die Substanz der Wirtschafts-Liberalen.

Bliebe nur noch die LINKE, die von Rot-Grün zuletzt heftig befehdet wurde. Ausgerechnet um deren Zustimmung oder zumindest Stimmenthaltung wirbt Minister Remmel gerade. Schließlich befürchtet er, sein Gesetzchen könnte an den Klippen das Landtages zerschellen.
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