Totgesagte pflügen länger

DDR-Struktur in der Landwirtschaft behauptet sich achtbar

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

1960 ereignete sich in der DDR der sozialistische Frühling auf dem Lande. Die Bildung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) wurde damals abgeschlossen. Anlässlich des 50. Jubiläums dieser Ereignisse erlebten vor Jahresfrist die Angriffe auf die ostdeutschen Agrargenossenschaften einen Höhepunkt. Mit Blick auf die Enquetekommission des Landtags zur Aufarbeitung der Nachwendejahre ist wenig hellseherische Fähigkeit notwendig: Die Kommission wird beim bevorstehenden Thema Landwirtschaft von interessierter Seite mit traditionellen Vorwürfen konfrontiert werden, die heute so wenig Substanz haben wie vor 20 Jahren.

»Wir liegen thematisch vorn«, sagte der Landesgeschäftsführer der märkischen Rosa-Luxemburg-Stiftung, Detlef Nakath, als er am Dienstag in Kyritz die Veranstaltung »Märkische Landwirtschaft - Erfolgsgeschichte oder Fehlentwicklung?« eröffnete. Eingeladen hatte die Stiftung damit zur Fortsetzung einer Reihe, bei der den oft extrem einseitigen und unhistorischen Stellungnahmen der Enquetekommission etwas entgegengesetzt werden soll.

Gast war der frühere Agrarstaatssekretär Günther Wegge (SPD), der - obwohl in Sankt Augustin bei Bonn wohnend - sich seinerzeit als Bollwerk für die ostdeutschen Agrargenossenschaften erwiesen hat. »Ja, es gab im Westen die Erwartung, dass die DDR-Struktur der Landwirtschaft restlos zerschlagen werden kann«, erzählte Wegge. Doch das zu tun, hätte man »besoffen sein« müssen.

Engagiert schilderte der fast 80-Jährige, in welche haarsträubende Situation die Landwirtschaft zu geraten drohte, als das Ernährungsministerium im Dezember 1990 kurzerhand sämtliche Fördermittel für die LPG streichen und diese Gelder nur noch für Einzelbauern reservieren wollte. Erstaunt vernahm das Auditorium, dass es »in letzter Konsequenz Helmut Kohl gewesen ist«, der den Totalausverkauf der DDR-Landwirtschaft gestoppt habe. Dessen Rechnung sei ziemlich nüchtern gewesen, sagte Wegge. Kohl habe blühende Landschaften gewollt, daraus wäre ohne die LPG, die sich in bürgerliche Agrargenossenschaften umwandeln konnten, nichts geworden.

Offenbar ist die Rechnung auch wirtschaftspolitisch aufgegangen, denn im bundesdeutschen Vergleich nimmt die brandenburgische Landwirtschaft hinsichtlich Prosperität, Gewinn und Nachhaltigkeit hinter Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt den dritten Platz ein, betonte Wegge nicht ohne berechtigten Stolz auf sich selbst. Der Wissenschaftler Wolfgang Jahn sagte: Zweifellos sind gemessen am Betriebsergebnis im Osten weniger Menschen beschäftigt als in Westdeutschland oder gar in Süddeutschland. »Aber auf der ganzen Welt geht der Zug hin zu größeren Anlagen - in Europa ist es Großbritannien, das die flächengrößten Agrarbetriebe aufweist.«

Bis heute hält sich im Westen hartnäckig das Vorurteil, die DDR-Bauern seien 1990 alle erpicht gewesen, sich von einer gehassten »Kolchose« zu lösen und wieder Einzelbauern zu werden. »So war es in den wenigsten Fällen«, sagte Dietrich Carls, langjähriger Vorstandsvorsitzender der Agrargenossenschaft Karstädt in der Prignitz. Carls räumte mit dem Vorurteil auf, bei der Umwandlung der Agrarstruktur habe es nur Unrecht gegeben. »Das sagen Leute, die von den Dingen nichts verstehen.« Seine alte LPG habe sich in eine Agrargenossenschaft von 106 Mitarbeitern und neun Einzelbauern aufgespalten. »Vier von denen sind inzwischen zur Genossenschaft zurückgekehrt, so dass wir 3600 Hektar bewirtschaften.« Allein seine Genossenschaft habe fünf Bilanzen erstellen müssen, die Bewertung von Grundfonds habe extrem geschwankt.

Die Bundestagsabgeordnete Kirsten Tackmann (LINKE) erinnerte daran, dass im Zuge der Umwandlung auch Unrecht aufgetreten sei. Den ganzen Vorgang als Unrecht einzustufen, gehe jedoch nicht an. In Brandenburg habe sich in einem keineswegs widerspruchsfreien Prozess eine lebendige Mischstruktur aus Genossenschaften und Einzelbauern gebildet, welche sich achtbar bewähre.

Probleme gibt es heute trotzdem, gab Wolfram Seidel, Geschäftsführer des Landesbauernverbands, zu bedenken. Inzwischen kaufen anonyme Bankenfonds immer mehr Land. Das »gewinnt an Fahrt«, sagte Seidel.

Obwohl sich die ostdeutsche Landwirtschaft in ihrer DDR-Struktur gut behauptet, ist man im Westen weit davon entfernt, sich Dinge zum Vorbild zu nehmen, bedauerte Ex-Staatssekretär Wegge.

Kisten Tackmann schätzte ein, dass Ostdeutschland auch im Vergleich zu anderen ehedem sozialistischen Staaten gut dastehe. Am fürchterlichsten habe die Nachwende in Bulgarien und Rumänien gehaust, dort seien die Genossenschaften sämtlich aufgelöst worden. An ihre Stelle sind winzige Höfe getreten. Die Folge sei, dass die beiden Länder, die einst Feldfrüchten und Fleisch exportierten, heute Lebensmittel einführen müssen, um die Bevölkerung ernähren zu können.

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