Nazis nahe am Tatort

Die braunen Terroristen mordeten in München in der Nähe von neonazistischen Schauplätzen

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 4 Min.
Fragen über Fragen: Die Münchner Tatorte der neonazistischen Mordserie liegen in unmittelbarer Nähe einer ehemaligen Nazi-WG bzw. einer Kneipe, in der sich die braunen Kameraden gerne trafen.

Es gibt viele Zufälle, Ungereimtheiten und Fragen im Fall des mutmaßlichen braunen Terrortrios aus Zwickau, das für die Morde an acht türkischstämmigen Männern und einem Griechen verantwortlich sein dürfte. Zwei der Taten geschahen in München. Auch hier tauchen Fragen auf. Beispielsweise die Frage, warum die Polizei nicht thematisierte, dass die Tatorte in unmittelbarer Nähe zu neonazistischen Schauplätzen lagen.

Wie sucht man die zufälligen Opfer aus, die man aus rassistischen Gründen erschießen will, wie es das derzeitige Mordszenario rund um Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt annimmt? Begibt man sich in einer fremden Stadt erst mal auf Streifzug? Oder ist das Naheliegende das Wahrscheinliche, so wie bei sexuellem Missbrauch die Täter meist aus dem nahen Familienumfeld kommen? Liegt es nahe, das Geschäft auszuwählen, das man auf dem Weg zu einer Kneipe gesehen hat oder weil es nahe einer Wohngemeinschaft liegt, in der man übernachtete? Der Münchner Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl (CSU), der im Visier der Neonazis stand, ist sich jedenfalls sicher: Es müsse einen Bezug zu München geben. Man fahre ja nicht einfach so in die Bad-Schachener-Straße und ermorde einen Ladenbesitzer.

München, Trappentreustraße 4. Das Haus liegt unweit der Kreuzung Mittlerer Ring / Landsberger Straße; ein wenig attraktives Eck mit viel Verkehrslärm, Abgasen und Staub. Der kleine Laden im Haus Nummer 4 liegt direkt an einer Bushaltestelle. Hier betrat am 15. Juni 2005 der Täter das Schlüsseldienstgeschäft und erschoss Theodorus Boulgarides (41). Es war der Mordfall Nummer sieben in der Serie - nur dass es diesmal keinen Deutsch-Türken traf, sondern einen Griechen. Das Geld in der Kasse blieb unberührt.

München, Landsberger Straße 106. Die Kreuzung zum Mittleren Ring liegt nur ein paar Schritte entfernt, von hier aus kann man sogar hinübersehen zum Haus Nummer 4 in der Trappentreustraße. Die Landsbergerstraße 106 war im Jahr 2003 die Adresse einer Wohngemeinschaft, in der Martin Wiese, Alexander Maetzing und Ramona Schenk lebten. Wiese wird 2005 wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung und zahlreicher Verstöße gegen das Kriegswaffenkontroll- und Waffengesetz zu sieben Jahren, Maetzing zu fünf Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Die 20-jährige Ramona Schenk wird zu einer Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt. Der damals 28-jährige Wiese war Anführer der neonazistischen Gruppe »Kameradschaft Süd«, die laut Anklageschrift mit Waffengewalt ein »nationalsozialistisch geprägtes Herrschaftssystem« errichten wollte. Für das Handgreifliche war eine »Schutztruppe« zuständig, die Wehrsportübungen in einem Wald bei München durchführte. Ein V-Mann des bayerischen Verfassungsschutzes soll der Gruppe militärisches Know-how geliefert haben. Sprengstoff aus einer Panzergranate, eine Kalaschnikow und fünf Pistolen spielten im Prozess ebenso eine Rolle wie ein möglicherweise geplantes Attentat auf das neue jüdische Zentrum in München. Wiese selbst stammt aus Anklam und hatte Kontakt mit Neonazigruppen in den neuen Bundesländern. Wer alles in seiner WG nahe dem Tatort übernachtete, ist unbekannt.

München, Bad-Schachener-Straße Nr. 14. Hier wurde am 29. August 2001 der türkische Gemüsehändler Habil Kilic (38) in seinem Laden erschossen. Es war das vierte Opfer der Mordserie die jetzt dem »Nationalsozialistischen Untergrund« angelastet wird. 400 Meter, ein paar Gehminuten entfernt liegt das Wirtshaus »Zum Glaskasten« in der Aschheimer Straße 15. Will man zum Beispiel von der nächsten U-Bahn-Station zu dieser Kneipe, kommt man an dem Laden in der Bad Schachener Straße vorbei. Die Gegend ist ähnlich wie in der Trappentreustraße nicht sehr mondän, hier finden sich vor allem Sozialwohnungsblocks älteren Baujahrs.

Der »Glaskasten« war bis April vorigen Jahres bekannt als Treff von Neonazis. Hier kehrte man zum »Liederabend« des »Nationalen Widerstands Oberbayern« ein und hängte Reichskriegsflaggen an die Wand. Das war auch schon in den 90er Jahren so. Im August 1998 etwa hatte nach Informationen der »Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München« (a.i.d.a.) die NPD zur Saalveranstaltung geladen, Anwohner protestierten.

1998 tauchte das Neonazitrio des »Nationalsozialistischen Untergrunds« aus Zwickau unter und ward nicht mehr gesehen - so die offizielle Version. Ob sich die drei zeitweilig etwa bei Gesinnungsgenossen in München in der Nähe der Tatorte aufgehalten haben - die Klärung dieser Frage ist eine der Aufgaben der Ermittlungsbehörden. Der jetzt bei Hannover wegen Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung festgenommene Holger Gerlach soll an Demonstrationen der rechtsradikalen Szene auch in Bayern teilgenommen haben.

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