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Bröckelt die Hausmacht Wladimir Putins?

Dumawahl - erster Schritt zum Plätzetausch auf dem Tandem

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 4 Min.
Präsident Dmitri Medwedjew rief am Freitag im Fernsehen auf: »Wählen Sie diejenigen, die Erfahrung haben bei der Bewältigung von Krisen!« Die Duma dürfe nicht wie zu Zeiten Boris Jelzins »zwischen unvereinbaren Gegensätzen hin- und hergerissen werden«. Werbung für die Partei Einiges Russland, deren Spitzenkandidat Medwedjew diesmal selbst ist.

Diese Wahl gilt als erster Schritt zum Ämtertausch zwischen Medwedjew und Ministerpräsident Wladimir Putin. Wenn Putin im März 2012 wieder zum Präsidenten gewählt wird, soll Medwedjew ins Amt des Regierungschefs wechseln. Zwar hat er wiederholt betont, letztlich entscheide das Volk darüber, doch die Mehrheit des Volkes scheint sich mit der Absprache der beiden Spitzenpolitiker abgefunden zu haben. Spannend bleibt nur, wie groß diese Mehrheit ist, wie hoch der Sieg für Einiges Russland ausfällt.

2007 schafften vier Parteien den Einzug in die Duma. Der Rest scheiterte an der Sperrklausel, die von fünf auf sieben Prozent angehoben worden war. Wladimir Putin schwebte langfristig ein Zweiparteiensystem wie in den USA vor. Deshalb wurden Direktmandate abgeschafft und Parteien, die nicht in mehr als der Hälfte der 83 Regionen mitgliederstarke Organisationen hatten, wurden nicht mehr zugelassen.

Auch die neue Duma dürfte nicht farbiger ausfallen als die bisherige. Sowohl die linksnationalen Patrioten Russlands als auch die sozialliberale Jabloko-Partei und deren neoliberales Gegenstück Rechte Sache gelten als chancenlos. Zwar sind die elektronischen Medien zu ausgewogener Berichterstattung über alle relevanten Kräfte verpflichtet, in diese Kategorie fallen jedoch nur die im Parlament vertretenen Parteien. Die Spitzenleute der anderen kamen bis zum Start des heißen Wahlkampfs im September nur in einer Nostalgiesendung von Staatssender RTR vor und wurden dort wie tragikomische Helden einer längst vergangenen Epoche porträtiert. Im Westen hofierte Kremlkritiker wie Boris Nemzow und Michail Kasjanow scheiterten mit Parteigründungen an den harten Zulassungskriterien und rufen zum Wahlboykott auf. Im Übrigen verschleißen die Liberalen ihre Kräfte beim Gerangel um Führung und Deutungshoheit über die liberale Idee.

Knapp werden könnte es am Sonntag auch für Gerechtes Russland. Von Polittechnologen im Oktober 2006 auf Kiel gelegt, um als sozialdemokratische Alternative den Kommunisten Stimmen abzugraben, lief das Schiff seinen Baumeistern bald aus dem Ruder und versuchte sich auf eigenem Kurs. Vor allem seit Parteichef Sergej Mironow im Sommer über eine Intrige der Einheitsrussen stolperte und seinen Posten als Präsident des Föderationsrates (der zweiten Parlamentskammer) verlor, liefen Karrieristen - bei den Gerechten Russen so zahlreich wie bei den Einigen - zum Sieger über. Der Rest der Truppe trug den Kommunisten ein Wahlbündnis an.

Doch wenn schon rot, wählt Iwan Normalverbraucher das Original: die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF). Die Partei Gennadi Sjuganows hatte 2003 fast die Hälfte ihrer Mandate verloren und den Aderlass vier Jahre später nicht ausgleichen können. Diesmal könnte sie Boden gutmachen. Meinungsforscher billigen ihr zwischen 17 und 21 Prozent der Stimmen zu.

Denn sogar staatsnahe Umfrageinstitute sehen die Zweidrittelmehrheit gefährdet, mit der Wladimir Putins Hausmacht Verfassung und Gesetze nach Belieben umschreiben konnte. Bei letzten Befragungen kam die Partei noch auf 53 bis 56 Prozent. Komfortabel für westliche Verhältnisse, doch ein Einbruch gegenüber den 64 Prozent von 2007. Stoppen konnten den Trend weder soziale Wohltaten noch Stimmenkauf, wie ihn mehrere Gouverneure, Bürgermeister und Betriebsdirektoren in vorauseilendem Gehorsam betrieben.

Auch die Russische Volksfront - ein Sammelbündnis parteiloser, mehr oder weniger prominenter Putin-Anhänger, das von PR-Strategen im Mai als strategische Reserve in die Schlacht geworfen wurde - floppte Umfragen zufolge.

Kritiker hatten es lange kommen sehen: Schon Jelzins Berater hatten mehrfach versucht, mit Beamtenparteien die nötigen Mehrheiten in der Duma zu organisieren. Doch die erwiesen sich stets als Rohrkrepierer. Junge Polittechnologen, die Anfang 2000 zusammen mit Putin in den Kreml einzogen, waren da erfolgreicher. Zunächst jedenfalls: Kurz nach den Dumawahlen 1999 schlossen sich die Abgeordneten zweier kreml-naher, aber konkurrierender Parteien in einer Fraktion zusammen, aus der zwei Jahre später eine Partei hervorging: Einiges Russland bekam 2003 über 37 Prozent, verschaffte sich durch Überläufer schon zu Ende der Legislaturperiode die Zweidrittelmehrheit und spielte sie hemmungslos aus. Korruption und Vetternwirtschaft sind nur die Spitze des Eisbergs.

Bei Kommunalwahlen in jüngster Zeit zogen die Kommunisten mancherorts bereits am Einigen Russland vorbei. Im Landesmaßstab bremste die Popularität Putins - Parteichef ohne Mitgliedsbuch - den Abstieg seiner Hausmacht freilich lange Zeit. Inzwischen sei die Stimmung in der Bevölkerung jedoch so, dass ein Ergebnis von mehr als 40 Prozent für Einiges Russland nur auf unehrliche Weise zustande kommen könne, verlautet aus der KPRF. Gerüchte wollen wissen, dass Putin bereits über dem Projekt einer neuen »Machtpartei« brütet, die ihm nach den Wahlen die Möglichkeit eröffnet, die Machtfülle des russischen Präsidenten voll auszureizen. Denn basisdemokratische Alternativen dürften in überschaubaren Zeiträumen an der Schwäche der Zivilgesellschaft scheitern. Die indes lässt sich allein mit dem derzeitigen politischen System nicht erklären. Gleich schwer fallen tiefes Misstrauen der russischen Volksseele in Institutionen der kollektiven Willensbildung und mangelnde Bereitschaft zu sozialem Engagement bisher ins Gewicht.

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