Falsches Lob des Frühlings

Kommentar von Roland Etzel

  • Lesedauer: 1 Min.

Europa ergoss am Wochenende ein Füllhorn von Artigkeiten über Tunesien. EU-Granden erinnerten mit belegter Stimme an den Straßenhändler Mohamed Bouazizi, der mit seiner Verzweiflungstat vor einem Jahr das auslöste, was heute auch von ihnen pathetisch Arabischer Frühling genannt wird. Das werden viele Tunesier mit gemischten Gefühlen vernommen haben. Wo sich Paris in den Chor der Schmeichler mischte, dürfte das Echo aus Tunis sogar recht wütend gewesen sein.

Die Regierung Sarkozy, die über Libyen mit Frühjahrsbeginn Bombenteppiche ausrollte - wie sie wissen ließ, aus tiefster Sorge, dass der Diktator Gaddafi sonst auf Demonstranten schießen lassen könnte -, hatte dessen tunesischem Nachbarn Ben Ali nur wenige Wochen vorher eben dabei freundschaftliche Hilfe angeboten. Zwar musste Verteidigungsministerin Alliot-Marie dafür büßen und wurde in Rente geschickt, die Doppelzüngigkeit (west)europäischer Außenpolitik, in besonders unverschämter Ausprägung der französischen, wird damit freilich nicht ungeschehen gemacht. Und sie setzt sich fort. Die Vorwürfe des Westens gegenüber Syrien mögen berechtigt sein. Sie entwerten sich in dem Maße, wie er zu Ähnlichem in Ägypten oder auch Jemen schweigt.

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