Zu Weihnachten die Kündigung

Wie in Berlin Vermieter versuchen, zahlungskräftigere Bewohner zu bekommen

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 3 Min.
Wer in Berlin arm ist, kann sich das Wohnen in der Innenstadt kaum noch leisten. Durch Neuvermietung oder Modernisierung steigen die Mieten drastisch. Und manchmal helfen Eigentümer kräftig nach, um Platz für zahlungskräftigere Bewohner zu schaffen.

Dieser Fall ist selbst für Reiner Wild, den Chef des Berliner Mietervereins, der Einiges gewohnt ist, ein starkes Stück. Im Haus Calvinstraße 21 im Stadtteil Moabit würden sich die Kaltmieten mehr als verdoppeln, wenn die Modernisierungspläne der Eigentümerin Terrial Stadtentwicklung GmbH aus Baden-Württemberg aufgehen sollten. Monatlich um rund fünf Euro pro Quadratmeter soll die Miete steigen. »Uns ist kein Beispiel bekannt, wo so zugelangt wurde«, sagt Wild. Normalerweise steige die Miete nach Modernisierung im Schnitt um 1,50 Euro pro Quadratmeter. Zusammen mit den kalten Betriebskosten würden in der Calvinstraße etwa 9,60 Euro fällig. »Das können die meisten hier nicht verkraften«, so Wild.

Zum Beispiel Helga Brandenburger. »Ich bekomme 905 Euro Rente und soll statt 500 künftig 897 Euro Miete zahlen«, empört sich die 63-Jährige, die mit den Eigentümern ganz besondere Erfahrungen gemacht hat. Als die herzkranke Frau im April vergangenen Jahres vom Arztbesuch wieder nach Hause kam, waren Küchen- und Badfenster zugemauert. Und ein freundlicher Herr von Terrial teilte ihr mit: »Sehen Sie, so schnell geht das.« Das Einzige, was man ihr anbot, war ein Entlüftungs-Durchbruch von der Küche übers Bad ins Schlafzimmer, da dort das Fenster noch existierte; ein sehr anrüchiger Vorschlag also.

Zeigte einst das Küchenfenster von Frau Brandenburger auf die Freifläche eines Eckgrundstücks, steht dort jetzt ein schicker Neubau, errichtet ebenfalls von Terrial Stadtentwicklung. »Alles Eigentumswohnungen, 50 Quadratmeter sollen 300 000 Euro kosten«, weiß Stefan Appelius aus dem Nachbarhaus, Melanchthonstraße 17, und nun ebenfalls ohne Küchenfenster. Der Luxusbau zeigt, wohin die Reise gehen soll. Denn die Gegend in unmittelbarer Nachbarschaft zum Regierungsviertel und der guten Altbausubstanz ist für Investoren attraktiv. »Die Terrial hat hier mehrere Grundstücke aufgekauft und versucht, die Ecke so umzuwandeln, dass die Wohnungen zu Spitzenpreisen verkauft werden können«, so Appelius. »Das funktioniert nicht, wenn die kleinen Leute drin wohnen bleiben.«

In der Calvinstraße 20a und 20b ist diese Entmietungsstrategie schon aufgegangen. Als die ersten Arbeiten dort begannen, hätten die Leute fluchtartig das Haus verlassen, sagt Appelius. Es wurde komplett entkernt und in Eigentumswohnungen umgewandelt. Und das in einem Haus, das in den 60ern im sozialen Wohnungsbau errichtet wurde. So wie auch die Nr. 21. Doch hier wollen die sechs verbliebenen von 15 Mietparteien weiter widerstehen. Obwohl die Gegenseite schweres Geschütz auffährt. Nachdem in die normale Instandsetzung nicht mehr investiert wird, der Mietergarten dem Neubau und einer Tiefgarage weichen musste - ebenso wie der Hauseingang, wobei dessen Nachfolger eher einer Hühnerleiter ähnelt und in eine von den Bauarbeitern genutzte Toilette mündet - kam jetzt die fristlose Kündigung wegen Mietrückständen. Die Bewohner hatten wegen des Baulärms und -drecks und des Fensterproblems die Miete gekürzt.

Der Mieterverein wertet dies als Versuch der »massiven Einschüchterung« und hält die Kündigung für unwirksam. Der Fall mache zudem deutlich, dass das Mietrecht derzeit keinen ausreichenden Mieterschutz bietet, so Wild. Der Deutsche Mieterbund fordert die Abschaffung der Modernisierungsumlage.

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