Kirche feuert Flüchtlingsberater

öffentliche Kritik an Landkreis kostete den Job

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 2 Min.
Fristlos entlassen hat die evangelische Kirche im niedersächsischen Stolzenau ihren Flüchtlingsberater Peter Jilani. Nach Ansicht des Kirchenkreises hat der 64-Jährige seine Schweigepflicht verletzt, als er den Landkreis Nienburg im Zusammenhang mit dem Mord an der 13-jährigen Souzan öffentlich kritisierte.

Am 5. Dezember hatte der 35 Jahre alte, aus Irak stammende Ali Barakat in Stolzenau, ein Ort mit 7300 Einwohnern nahe Nienburg, seine Tochter Souzan vor den Augen ihrer Mutter auf offener Straße mit mehreren Schüssen getötet. Die öffentliche Fahndung nach dem Mann ist bislang erfolglos geblieben. Auch ist das Motiv des Täters noch nicht endgültig geklärt. Von Familienstreitigkeiten ist die Rede, von Strenge und Gewalttätigkeiten des Vaters.

Um die Familie kümmerte sich der gebürtige Pakistaner Peter Jilani, seit 20 Jahren Flüchtlingsberater des Diakonischen Werks. Diese Einrichtung gehört zur evangelisch-lutherischen Landeskirche. Auch das Jugendamt des Kreises Nienburg schaltete sich ein angesichts des Konflikts zwischen Tochter und Vater. Die Behörde brachte das Mädchen in einem Jugendheim unter. Zwar organisierte das Amt ein »Versöhnungsgespräch«, zu dem sich Souzan und Ali Barakat im Heim begegneten - doch dieses Bemühen scheiterte. Wenig später kam es zu den tödlichen Schüssen.

Flüchtlingsberater Jilani erhob nach der Bluttat öffentlich Vorwürfe gegen das Jugendamt: Es hätte Souzan nicht aus ihrer Familie herausnehmen sollen. Jilani sieht offenbar eine Mitschuld der Behörde an dem Geschehen. Das Amt habe den Entzug des Sorgerechts vorbereitet - und dieser Schritt, so der Berater, habe vermutlich beim Vater »das Fass zum Überlaufen gebracht«. Besser wäre es nach Ansicht Jilanis gewesen, wenn Souzan ihr Elternhaus nicht verlassen und eine Familienpflegerin die Barakats betreut hätte.

Peter Jilanis Äußerungen wertete der Vorstand des evangelischen Kirchenkreises Stolzenau-Loccum als »gravierende Verletzung der Verschwiegenheitspflicht«. Deren Einhaltung sei in Seelsorge und Beratung »ein unaufgebbares Gut«, betonte Superintendentin Ingrid Goldhahn-Müller. Nicht nur kirchentreue Menschen werden sich womöglich fragen, ob es nicht genügt hätte, Jilani zu ermahnen. Und vielleicht wird nicht allein in Stolzenau die Frage wach, wie es die Kirche selbst mit der von ihr gepredigten Vergebung hält, zu der Jesus aufruft. Im Gegensatz dazu reagierte der Kirchenkreis knallhart und bescherte seinem Flüchtlingsberater am Tag vor dem »Fest der Liebe« die Kündigung.

Heiligabend demonstrierten rund 100 Menschen in Nienburg gegen das Vorgehen der Kirche und für die Rücknahme der Entlassung. Der Flüchtlingsberater genießt hohe Wertschätzung, besonders bei Migranten. Sie loben den Einsatz Jilanis, und mancher aus ihren Reihen weiß zu berichten, wie sehr ihm der engagierte Mann geholfen hat. Eine Unterschriftensammlung für Jilanis Wiedereinstellung ist vorbereitet. Der Betroffene selbst will gegen die Kündigung klagen.

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