Zu gefährlich für lesen, lachen, lochen ...

Martina Renner, Innenexpertin der Erfurter Linksfraktion, über die Normalitäten im »Thüringer Nazi-Terror-Land«

  • Lesedauer: 9 Min.
Am 4. November 2011 wurde in Eisenach eine Sparkasse überfallen. Man fand das mutmaßliche Täterduo tot in einem Wohnmobil. Es bestätigte sich, was von offizieller Seite bislang stets als absurd abgetan wurde: Es gibt rechtsextremistischen Terrorismus in Deutschland. Seither erscheinen die Geschichte des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) und die Aufklärung der Verbrechen dieser terroristischen Vereinigung wie in einem Zerrspiegel. Ermittler tappen im Dunkel, politisch Zuständige zeigen sich nur wenig geneigt, Schlussfolgerungen zu ziehen.
»Weit über fachliches Interesse hinaus engagiere ich mich gegen Neonazis, Rassismus und für eine offene Gesellschaft«, sagt Martina Renner. Die 44-Jährige ist Vizechefin und Innenexpertin der Linksfraktion im Thüringer Landtag. Mit ihr sprach René Heilig.
»Weit über fachliches Interesse hinaus engagiere ich mich gegen Neonazis, Rassismus und für eine offene Gesellschaft«, sagt Martina Renner. Die 44-Jährige ist Vizechefin und Innenexpertin der Linksfraktion im Thüringer Landtag. Mit ihr sprach René Heilig.

ND: Beate Zschäpe, die Überlebende des mutmaßlichen Nazi-Terrortrios, ist jetzt fast zwei Monate Nummer 4876/11/3. Sie schweigt. Tag und Nacht brennt eine grelle Neonröhre in ihrer Zelle. Die junge Frau darf nur zwei Mal in der Woche duschen.
Renner: Ist das so?

Man liest das sogar aus geachteter Kollegenfeder. Nur ein paar Heiratsanträge würden ihr ab und zu ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Mediales Mitleid. Können Sie da mithalten?
Nein. Ich schließe mich nicht denen an, die sagen: Eine Frau als Teil eines mörderischen Neonazi-Trios kann lediglich die Rolle der Mitwisserin gehabt haben. Ich folge nicht denen, die sagen, dass sie aus Naivität oder Zusammengehörigkeitsgefühl oder aus Liebe zu den beiden Männern all die Jahre als Unterstützerin mörderischer Aktivitäten in Erscheinung getreten ist. Beate Zschäpe war schon in ihrer Jugend eine überzeugte Neonazistin. Sie war hoch ideologisch, sie war keinesfalls das, was man Frauen in der Neonazi-Szene gerne zuschreibt: Mitläuferin, stille Sympathisantin oder heimatverbundenes Zopfliesel. Sie war aktiv an Übergriffen beteiligt. Altersgefährten erinnern sich.

Im Zweifel für Zschäpe, die möglicherweise Ahnungslose ...
Ahnungslos kann sie nicht gewesen sein, weil dieses Netzwerk, in dem sie agierte, sehr eng war. Man hat sich ausgetauscht über politische Ziele, gemeinsam Bildungsveranstaltungen besucht, auf denen Alt-Nazis und bekannte Rechtsextremisten aus dem Ausland gesprochen haben. Sie hat gewusst, wo sie sich bewegt. Man hat ja auch in der Zwickauer Wohnung entsprechende Hinweise gefunden, dass dort die widerlichen Bekenner-DVDs hergestellt oder bearbeitet wurden.

Das alles muss die Justiz zweifelsfrei klären. Aber schon das Aufklären ...
...ist schwierig. Es besteht die Gefahr, dass natürlich auch durch die Verteidigung von Frau Zschäpe ein bestimmter Weg der Entlastung eingeschlagen wird, der alle Verantwortung für die Morde und Anschläge auf die beiden toten Komplizen schiebt. Terroristische Vereinigung? Aber wieso denn ...? Zschäpes direkten Tatanteil wird man wahrscheinlich schwer klären können. Aber ich habe derzeit das Gefühl, dass der Generalbundesanwalt versucht, die Anklagepunkte und Anklageschriften auch gegen Unterstützer wie Ralf Wohlleben wasserdicht zu machen.

Woher kommt das Gefühl? Öffentlich passiert wenig.
Das Gefühl resultiert daraus, dass es keine übereilten Festnahmen gegeben hat, keinen Aktionismus, keine Symbolik. Ich glaube, dass man tatsächlich erst die Fakten sehr genau abgeklärt hat und dann zu Maßnahmen wie Razzien oder Festnahmen gegriffen hat. Nichts wäre jetzt schlimmer, als dass diejenigen, die beschuldigt werden, Mittäter in dem Netzwerk zu sein, wieder auf freien Fuß gesetzt werden müssen. Das würde der Nazi-Szene einen erheblichen Auftrieb geben.

Andere witterten hinterm Langmut von BKA und LKA den Versuch von Tatverschleierung. Trifft das nicht zumindest auf den Umgang mit dem Verfassungsschutz zu? Der war keineswegs blind, sondern ließ die Terrornazis mindestens gewähren. Also: Vs-ler in die Produktion! Wie viele Erfurter Geheimdienstler mussten sich schon beim Arbeitsamt melden?
Und wo ist das Volk? Nein, mal ernsthaft: Da gibt es wirklich Befürchtungen. Beispiel Aktenunterdrückung. Alle Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission, einschließlich die der CDU und der SPD, fordern dringend Auskunft. Operativ beteiligte Beamte sind zum Gespräch geladen, Akten angefordert. Jetzt kommt das Aber: Wer sagt, dass die Akten und Berichte vollständig und ehrlich sind? Bislang lief die Aufarbeitung so: Landesverfassungsschutzchef Sippel hatte nach den Affären seines Vorgängers Roewer natürlich auch Gerüchte unter anderem über das Untertauchen der drei Rechtsextremisten gehört. Er reagierte als Bürokrat, ließ die beteiligten Beamten antreten und verlangte ihnen dienstliche Erklärungen ab. Motto: Lesen, lachen, lochen. Da muss man grundsätzlich etwas ändern.

Eigentlich gibt es doch auch in Thüringen genügend Erfahrungen, wie man umgeht mit einem Geheimdienst, dem man selbstredend nicht trauen kann.
Unlängst gab es eine Aktion, bei der Bürger Licht ins Landesamt bringen wollten. Wir verlangen Aufklärung, wir wollen die Behörde öffnen, Transparenz herstellen.

Hat schon jemand Steine bestellt, um das Amt zuzumauern?
Nein. Auch wollen wir nicht einfach mit einer Abrissbirne in die Haarbergstraße ziehen. Wir wollen eine anders arbeitende Behörde, möglicherweise sogar mit einem Teil des Personals. Wir wollen daraus eine Beratungsstelle, eine Informationsstelle machen. Dazu braucht man keine nachrichtendienstlichen Mittel. Wirklicher Verfassungsschutz bedeutet, wissenschaftlich zu arbeiten, zu analysieren, Konzepte zu entwickeln. Da kann man sich ja ein gutes Beispiel nehmen an all denen, die das seit Jahren machen - an Universitäten, in Medien. Dort wurde schon lange vor einer gefährlichen rechtsextremistischen Entwicklung gewarnt, vor wachsendem Potenzial, internationaler Vernetzung, Waffen und Sprengstoff. Polizeiliche Kriminalstatistik wurde korrigiert. Man hat die mörderische Logik des Faschismus aufgezeigt und klar gemacht, dass wir beim heutigen Neonazismus auch davon ausgehen müssen, dass er jederzeit mit Terror auftritt. All das gibt es - leider wohl nicht beim Verfassungsschutz.

Der hat sogar die Polizei und die Justiz bei der Neonazi-Fahndung an der Nase herumgeführt. Statt sich jetzt mit Ermittlungsverfahren »zu bedanken«, macht die Polizei nichts. Wie kommt das?
Wenn man mit Kripo-Beamten spricht, mit Staatsschützern, mit all denen, die sich mit rechtem Extremismus beschäftigen, kann man den Frust spüren. Die haben alle ihre Erfahrungen mit Nichtinformationen, zu späten Informationen und anderen Behinderungen. Aber auf Behördenspitzenebene ist das nie zum Thema geworden. Das Landeskriminalamt und die Polizeibehörden haben den gleichen Dienstherrn wie das Landesamt für Verfassungsschutz. Alles spielt in einem Haus, im Innenministerium. Da rückt man eher zusammen, weil die Kritik an geübter Rechtsblindheit dezidiert vom Hauptfeind kam, also von links.

Was macht eigentlich die Thüringer SPD?
Die ist in der Haltung zum Verfassungsschutz gespalten. Es gibt eine Minderheit, die auf dem letzten Landesparteitag versucht hat, einen Antrag zur Auflösung des Landesamtes durchzusetzen. Da war das Terrortrio noch gar nicht aktuell, aber es gab bereits so viele andere skandalöse Vorgänge.

Sind die Rechtsextremisten in Thüringen nun politisch erledigt?
Die NPD hat ein Problem, weil sie mit einem Verbot bedroht ist. Die Chefs geben sich als biederen Demokraten - die sie nicht sind. Wenn dieses Terror-Netzwerk weiter aufgebröselt wird, wenn weiter gefragt wird, wer was gewusst hat, wer Geld sammelte, wer Logistik bereitgestellt hat, dann werden wir auf weitere NPD-Mitglieder oder Funktionäre stoßen. Das wissen sie, deswegen sind sie jetzt so verunsichert.

Die Naziszene außerhalb der NPD, gerade das »Freie Netz« hier in Thüringen, reagiert ganz anders - sehr offensiv, sehr forsch. Auf der einen Seite mit Solidaritätsadressen an die Verhafteten und Durchhalteparolen. Und auf der anderen Seite, dort wo sie über starke Strukturen verfügen, agieren sie drohend auf der Straße.

Wo?
In Gera, Jena, Apolda sind sie auf Linke zugegangen, haben signalisiert: Wir haben euch im Auge, wartet nur ... In Sömmerda gab es eine Drohung per E-Mail an unser Büro. In Apolda haben Neonazis eine Sitzung unserer Kreistagsfraktion besucht, haben gerufen, ihr roten Schweine, wir kriegen euch und haben die Teilnehmer fotografiert. Die »Kameraden« treten also massiv, offensiv und absolut nicht eingeschüchtert auf. Wenn man sich ihre Diskussionsforen anschaut, dann liest man: Die Zwickauer Zelle war ein Anfang, das ist der richtige Weg, es kann funktionieren, aus dem Untergrund heraus zu agieren.

Der NSU könnte zum Vorbild werden?
Ja. Aber es bedurfte des Nationalsozialistischen Untergrunds nicht, um eine in der Naziszene schon seit etwa zwei, drei Jahren spürbare Tendenz zum Rechtsterrorismus zu befördern. Wir hatten in Thüringen 2010 einen versuchten Anschlag auf ein Busunternehmen in Saalfeld durch Aktivisten des »Freien Netzes«. Und es gab eine polizeiliche Aktion gegen das »Freie Netz«, weil es den Verdacht gab, dass dieses sich mit Sprengstoff C4 versorgt hatte. Die haben sich nicht nur materiell ausgerüstet, sondern auch ideologisch. So holte man sich bei Karl-Heinz Hoffmann, Rechtsterrorist, Wehrsportgruppenführer, der ja jetzt in Sachsen lebt, Anregungen zur Gründung paramilitärischer Organisationen.

Wir haben immer darauf hingewiesen, auch die Kollegen in Sachsen, dass die Freien Netzstrukturen im Augenblick der militanteste und gewaltbereiteste Teil des Neonazismus sind. Der NSU gibt denen einen zusätzlichen Kick. Wir dürfen Thüringen nie isoliert betrachten. Verbindungen nach Sachsen und Hessen sind offenkundig. Man kennt die Anführer. Man könnte sie im Griff haben.

Wieso könnte? Hat man nicht? Noch immer nicht?
Ich verweise nur mal auf das Waffenrecht. Die Behörden könnten doch per Computer schnell abgleichen, welcher bekannte Neonazis über welche Waffen verfügt - und rasch handeln. Könnte! Wir wissen doch, dass Rechtsextremisten den legalen Waffenbesitz nutzen, um in Schützen- und anderen Vereinen zu trainiert. Nicht für Olympia, versteht sich. Man muss schon fragen, wie es sein kann, dass ein Herr Neonazi Heise, der wegen zig Volksverhetzungsdelikten und Gewalttaten verurteilt wurde, einen Militaria- und Waffenhandel betreiben darf. Warum nutzt man nicht die gesetzlichen Spielräume, um den entsprechenden Leuten die einschlägigen Gewerbe zu entziehen?

Alle loben jetzt zivilgesellschaftliches Engagement vieler Anständiger gegen Rechtsextremismus. Entsprechend besser werden demokratische Bürgerinitiativen auch in Thüringen gefördert?
Aktuell gibt es keine Veränderungen. Weder wurden im gerade beschlossenen Haushalt mehr Geld bewilligt, noch will sich die Landesregierung nun massiv dafür einsetzen, dass im Bund diese unsägliche Extremismuserklärung gestrichen wird. Das Thüringer Landesprogramm wurde nicht eindeutig gegen Rechtsextremismus ausgerichtet.

Es ist falsch, alles auf die Zivilgesellschaft abzuwälzen. Und man sollte die sozialen Umwälzungen der letzten zwei Jahrzehnte auch nicht zu sehr als Erklärung für Rechtsextremismus betonen. Rechtsterror entsteht - siehe »Zwickauer Zelle« - nicht nur da, wo junge Leute sozial ausgegrenzt und ökonomisch bedroht sind.

Nazis wachsen auch hinter sanierten Fachwerkfassaden heran?
Aber ja. Schauen wir uns den verhafteten mutmaßlichen Unterstützer Wohlleben an - ein gutsituierter kleinbürgerlicher Familienvater in einer wunderschönen Fachwerkvilla in Jena. Und auch vom Bildungsstand her ist bei den rechtsaußen Rekrutierten alles vertreten. Vom »Dummsturm« bis zu Abiturienten. Es gibt unter denen Studierte, sogar Pädagoginnen.

Gewiss, wir brauchen ganz langfristige Einstellungs- und Verhaltensänderungen, die auch nicht nur auf eine Generation gerichtet sind. Deswegen sind zivilgesellschaftliche Ansätze, die nachhaltig wirken können, so wichtig. Das ersetzt keineswegs eine klare staatliche Ansage gegen militanten Neonazi-Terror. Der Staat muss unmissverständlich klar machen, dass er Bestrebungen und Aktivitäten nicht toleriert, die darauf gerichtet sind, Mitbürgern das Recht auf Leben abzusprechen.

Der Staat muss Härte zeigen? Das ist - so glaube ich - eine von linker Seite eher nicht so alltägliche Forderung.
Ja, man muss es nicht Härte nennen, ich fordere staatliche Konsequenz. Das Hervorheben der Zivilgesellschaft kann nämlich auch allzu leicht missbraucht und zum Ablenkungsmanöver werden, mit dem man die Verantwortung der Zuständigen, des Staates herunterspielt. Im Idealfall gibt es ein Zusammenspiel zwischen Zuständigen und Anständigen.

Aber ich betone es noch einmal: Was ich von den Zuständigen im Augenblick mehr denn je fordere, sind klare Signale. Das Gerede über ein NPD-Verbot reicht nicht. Dazu gehören der Fall der Extremismusklausel und vor allem ein antifaschistisches Grundverständnis, das wir in die Landesverfassungen schreiben.

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