Grote Mandränke

Vor 650 Jahren erlebte die Nordseeküste eine verheerende Sturmflut - mit Folgen bis heute

  • Sabine Dobel, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Es war wie die biblische Sintflut: Eine gewaltige Sturmflut suchte vor 650 Jahren die schleswig-holsteinische Nordseeküste heim. Ihr Verlauf wurde für immer verändert.

Bredstedt. Danach sollte nichts mehr so sein wie zuvor. Vor 650 Jahren fegt eine gewaltige Sturmflut über die Nordseeküste, über die Außenlande vor dem Festland, über die Köge und die eingedeichten Marschgebiete. Große Teile fruchtbaren Landes zwischen Sylt und Eiderstedt in Nordfriesland gehen unter. Aus zusammenhängenden Landteilen werden verstreute Inseln und Halligen. Am 16. Januar 1362 verändert die »Grote Mandränke« - die »Große Manntränke« - den Küstenverlauf im heutigen Schleswig-Holstein für immer.

Erst Pest, dann Wasser

Die »Geburtsstunde Nordfrieslands in seiner heutigen Form« nennt Thomas Steensen die Ereignisse jenes Winters. »Diese Flut ist eine der großen Katastrophen des mittelalterlichen Europas, die besonders in Nordfriesland zu großen Verlusten an besiedeltem Land und an Menschen geführt hat«, sagt der Geschichtsprofessor an der Uni Flensburg und Direktor des Nordfriisk Instituuts in Bredstedt.

100 000 Menschen sollen umgekommen sein in den Tiefen des »Blanken Hans«, hieß es einst. Inzwischen liegen die Schätzungen bei etwa 10 000 Toten, sagt Albert Panten, nordfriesischer Heimatforscher und Mittelalterexperte. In Relation zur Deichhöhe - anders als heute betrug sie im 14. Jahrhundert nur etwa 2,50 Meter - sei die »Mandränke« die schwerste Flut gewesen, die Schleswig-Holsteins Nordseeküste je traf. Der Höhepunkt war am 16. Januar erreicht. Insgesamt wüteten die Stürme drei Tage lang.

Gleich mehrere Faktoren kamen damals zusammen, erläutert Panten. Zwölf Jahre vor der Sturmflut war die Pest durchs Land gezogen. »Die Vernachlässigung der Deiche wegen des Bevölkerungsverlustes in der Pestzeit war noch nicht aufgeholt.« Außerdem habe es zu Beginn des 14. Jahrhunderts gravierende Klimaveränderungen gegeben: Zuerst Trockenheit, dann Dauerregen für ein ganzes Jahr, wieder Trockenheit. Das Vieh starb, strenge Winter, Stürme und Hungersnöte - nur jeder Vierte soll dann die Pest überlebt haben. Zu diesem Unglück kam auch noch Pech hinzu: »Die passende Windrichtung zur passenden Zeit - das Wasser ist glatt über die Deiche gegangen, ein Extremereignis.«

50 Jahre lang kämpften die Nordfriesen nach der Flut ums Überleben, sagt Panten. Die fruchtbaren Marschlande waren vernichtet, das Vieh ertrunken, das gesamte Deichwesen lag brach. Trotzdem forderte der dänische König Abgaben. Die Bevölkerung konnten sich nicht dagegen wehren, da die Männer zum Kämpfen fehlten.

Das Aussehen der Küste veränderte sich dauerhaft. Etwa 50 Prozent mehr als die heutigen Utlande umfasste das Gebiet vor 1362, schätzt Panten. Die gravierendste Veränderung zeige sich bei der heutigen Insel Pellworm: Das gesamte Meeresgebiet zwischen Pellworm und Nordstrand war einst Land. Auch die Stadt Rungholt, eine Art Atlantis des Nordens, das aber nachweislich existierte, ging unter. Genutzt habe die Flut Husum, sagt Institutsdirektor Steensen. Die Flut habe einen Zugang von der offenen Nordsee zur Südwestecke des Festlands geöffnet. »Hier wuchs in wenigen Jahrzehnten der größte Ort Nordfrieslands heran, die heutige Kreisstadt Husum. Ohne die Katastrophe wäre deren Aufstieg nicht möglich gewesen.«

Schutz kostet Geld

Lehren habe man aus der Katastrophe zunächst nicht gezogen, resümiert Panten. Im 15. Jahrhundert sei zwar mehr in die Bedeichung investiert worden. Die neuen Deiche seien aber nur unwesentlich höher gewesen. Heute erreichen sie acht Meter.

»Aber das Gedenken an die ›Grote Mandränke‹ ist wichtig, die Verantwortlichen für den Küstenschutz sollten sich der Gefahr bewusst sein«, sagt Panten. Historiker Steensen bringt es auf den Punkt: Küstenschutz ist Menschenschutz. Dafür müsse man viel ausgeben.


Erste Beschreibung

In den vergangenen 1000 Jahren trafen die deutsche Nordseeküste immer wieder verheerende Sturmfluten. Die erste beschriebene Sturmflut datiert auf den 17. Februar 1164: Die Julianenflut soll 20 000 Todesopfer gefordert haben, vermutlich ist diese Zahl zu hoch. Der Jadebusen im heutigen Niedersachsen entstand. (dpa)

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