Schuld ist ein Gefängnis

Fernsehtipp: »Das Kindermädchen« im ZDF - ein Brief aus Kiew und die Folgen

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Der junge Anwalt Joachim Vernau wird in die Familie derer von Zernikow einheiraten, seine Braut Sigrun steht vor einer verheißungsvollen politischen Zukunft auf hoher Berliner Senatsebene. Alles wahrlich äußerst glorreich. Da kommt ein Brief aus Kiew: Eine alte Frau bittet Utz von Zernikow, Sigruns Vater, um eine Bestätigung, als Zwangsarbeiterin in der Nazi-Familie gearbeitet zu haben. Sie war das Kindermädchen des jungen Utz - aber wieso lebt sie noch? Hatte man ihr nicht Diebstahl nachgewiesen und sie angezeigt, und war sie damals nicht »rechtmäßig« hingerichtet worden? Und was heißt hier: Nazi-Familie?

Es entfaltet sich gegen alle Versuche des hartnäckigen Verschweigens und der gewaltsamen Tilgung von Zeugenschaften ein Drama der Offenlegung. Jüdischer Besitz, Kunstraub, Versklavung, Feigheit - Wahrheit rückt vor wie eine Kriegsfront, entwaffnend.

Vielleicht sind es die klimatischen Schwingungen der Fälle Guttenberg und Wulff, Spitzen eines Eisberges, die auf besondere Weise fühlig machen für den Schmutz einer arroganten sozialen Entrückung und maßverlorenen politischen Überhebung. Der Film von Carlo Rola (Buch: Elisabeth Herrmann, nach ihrem gleichnamigen Roman) offenbart in wenigen Szenen die tonangebende Großsucht einer Klasse, die einem Panoptikum entstiegen scheint und doch so bedrückend gegenwärtig ist. Wie rabiat da eine alte Russin an der Tür einer deutschen Adels- und Politikerfamilie abgewiesen wird. Wie man sich im Filz von Parlamentarismus und PR verständigt: »bilateral, konsensorientiert«. Wie man Naziopfer tituliert, die finanzielle Ansprüche stellen: »Trittbrettfahrer der Weltgeschichte« (es würde, ungerechnet, um 5 Euro monatlich gehen).

Jan Josef Liefers ist Anwalt Vernau, der von der Aufstiegstreppe zu stürzen droht, weil sein Wahrheitsdrang an familiengeschichtlichen Kulissen reißt. Liefers ist unfähig zur Künstlichkeit. Er hat einen integrierten Witz, der noch tragische Momente seiner Gestalten mit Trotz ausstattet, die klarsten Augenblicke mit Staunen, die kräftigen Töne mit leiser Skepsis. Er als Nachforschender, bohrend Fragender trägt vor allem die Glaubwürdigkeit, den lebendigen Atem des Dramas, in dem Matthias Habich jenen alten Utz von Zernikow spielt, dem Natalja einst Kindermädchen war: ein tonloses Knarzen nach innen; was da knarzt, ist ein unvernarbbares Schandbewusstsein. Letzte Erkenntnis des Gestrigen, wie eine Kurzgeschichte deutscher Demokratie - mühsam »domestiziert« worden zu sein, »einzig durch Niederlagen dazu gezwungen«.

Natalia Wörner gelingt in der Pose der kommenden Großpolitikerin Sigrun die totale, zutiefst eingeglättete Dresscode-Seele; aber die Erschütterungsregungen dieser Frau, die sich besinnen wird, sich von Aufstiegsgeilheit bekehren lässt - diese Regungen gelangen leider kaum ins Freie, Gelöste, auch sie bleiben Pose. Technik ist nicht Kunst.

Inge Keller gibt im Rollstuhl die alte Zernikow, ein standesfrostiges Adelsgemüt ganz Hochkultur; das Herrenmenschtum als großer innerer Auftrag, der keinen Zeitenwechsel kennt. Dem Sänger Richard Tauber lauscht sie ergriffen mit den Worten: »Manche Juden habe ich sehr geschätzt.« Die Kamera von Frank Küpper bietet Großaufnahmen an, als ahne sie Zuschauers Wunsch, da reinzuschlagen. Aber Keller ist zu groß als Schauspielerin, um in wenigen Szenen nicht doch auch einen kaum wahrnehmbaren Hauch Tragik zu zeigen. Tragik, wenn so einen Menschen aus sehr entferntem Gestern die Wahrheit durchweht: kein lebendes, sondern nur noch ein untotes Wesen zu sein.

Ein bedrängender Stoff (»Schuld ist ein Gefängnis, das man sich mit den eigenen Händen errichtet«, sagt Utz von Zernikow). Ein intensiv geheimnisvoller Beginn. Eine beklemmende, empörende Konstellation. Aber mit routiniertem dramaturgischem Aufriss dann: Hinlenkung des Ganzen zur übertriebenen Aktion, zur Feier des fiktional Groben, zur melancholisch durchfühlten Auflösung im Versöhnlichen.

Das behält ohne Zweifel seine Bannkraft und seinen dynamischen Zug, jeder Dramenklassiker kann schließlich auf Mord, Intrige, klischierte Bösewichte, soziale Schablonen, augenfällige Weiblichkeit, blutige Begegnungen, verfolgungsjagende Zuspitzungen verweisen, indes: Der wirklich harte Befund wird vermieden. Die Weltszene ist hier um vieles vermindert, was ihr ein künstlerischer Realismus hinzufügen könnte, der das Herzkorrupte einer geschichtlich verdorbenen Kaste so zeigt, dass man verstärkt nicht bloß an Unterhaltung denkt.

Die deutsche Fernsehdramatik ist krank. Sie leidet am fortwährend überspannten Handlungsbogen. Jeder Stoff, der Zeug zur Wahrhaftigkeit in sich trägt, muss sich zusätzlich bestücken mit Krimiserien-Zubehör - und wird, derart beschwert, doch bloß entseelt. Im Thriller verflüchtigt sich der aufstörende Geist. Der literarische Sinn kuppelt zum Überdruss mit dem Entertainment. Der Relevanzvertrag ist zerrissen, der einen TV-Film, in der Hauptsendezeit!, an reale Verhältnisse binden dürfte. Das Böse, das Mafiöse, das Verfilzte und Schmutzige der Jahrhundert-Erfahrungen, aller geschichtlich-dramatischer Gegenstand ist verkauft worden an profane Reizsteigerungstechniken.

Weh tut, dies anlässlich eines Filmes anzumerken, der höhere Erwartungen weckte und eine gewisse Weile den Eindruck erlaubte, sie auch einhalten zu wollen. Vielleicht ist dies schon ein Lob über Maßen.

»Das Kindermädchen«:

heute, 20.15 Uhr im ZDF

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