Monopolisiertes Wissen

  • Harry Nick
  • Lesedauer: 3 Min.
»Am intensivsten ist Wirtschaftsspionage heute zwischen den entwickelten Industrieländern.«
»Am intensivsten ist Wirtschaftsspionage heute zwischen den entwickelten Industrieländern.«

In einer Studie des Verfassungsschutzes werden Russland und China als »Hauptträger« der Industriespionage gegen die Bundesrepublik genannt. Von deutscher Spionage kein Wort. Vom US-Publizisten Peter Schweizer erfahren wir in seinem Buch »Friendly Spies« (Befreundete Spione): »Der BND hat V-Leute beauftragt, Forschungseinrichtungen und Firmen in den Vereinigten Staaten, Frankreich, Großbritannien und Italien auszuspionieren.« Von der CIA kein Wort. Die aber hat ihre früher gegen die sozialistischen Staaten gerichtete Militärspionage ruckartig auf Wirtschaftsspionage umgepolt.

Es gibt nur ein Beispiel der Selbstdarstellung eigener, sehr erfolgreicher Wirtschaftsspionage von der DDR, allerdings erst nach ihrem Ableben. Nachzulesen in dem von der »edition ost« herausgegebenen Buch »Industriespionage der DDR. Die wissenschaftlich-technische Aufklärung der HVA«, verfasst von Generalen und Obristen, die im Ministerium für Staatssicherheit hierfür direkt verantwortlich waren. Man kann der Meinung nur zustimmen, dass die völkerrechtswidrige Embargopolitik des Westens eine hinreichende Rechtfertigung der wissenschaftlich-technischen Aufklärung durch die Dienste der sozialistischen Länder war.

Deutschland hat am wenigsten Grund, sich in Sachen Spionage moralisierend zu äußern. Der größte Fall von Wirtschaftsspionage war der Diebstahl aller wichtigen Erfindungen der ersten industriellen Revolution durch Preußen/Deutschland in England, dem Geburtsland aller Schlüsseltechnologien des beginnenden Industriezeitalters: vor allem der Dampfmaschine, der Spinnmaschine und des mechanischen Webstuhls. Und der englische Staat, der 1624 das erste Patentamt der Neuzeit einrichtete, unterband rigoros die Lizenzvergabe, die Ausreise von Werkmeistern und selbst von Fabrikarbeitern. In Deutschland begann die industrielle Revolution ein halbes Jahrhundert später. Es konnte deren Schlüsseltechnologien nur stehlen. Es bleibt Allzeitweltmeister der Industriespionage, weil ein solcher Fall sich nicht wiederholen kann.

Woraus erklärt sich die Intensität von Wirtschaftsspionage vor allem? Aus dem technologischen Rückstand eines Landes. Heute aber ist sie vor allem durch die Wirtschaftsmacht eines Landes bestimmt. Und China ist auch eine Macht. Am intensivsten ist Wirtschaftsspionage heute zwischen den entwickelten Industrieländern; die stehlen mehr von Entwicklungsländern als umgekehrt.

Die öffentlichen Debatten über Wirtschaftsspionage werden überwiegend unter falschen Begriffen und Vorstellungen geführt. Das eigentliche Übel ist überhaupt nicht die Spionage, sondern die Privatisierung, d.h. Monopolisierung von Wissen. Das Patentrecht heute schützt keineswegs in erster Linie das persönliche Eigentum der Entdecker und Erfinder, sondern vor allem die Marktmacht der Konzerne. Monopolisierung von Wissen ist zum wichtigsten Ins-trument im Machtkampf der Konzerne geworden.

Neben der Ächtung von Kriegen wäre in einer sich globalisierenden Wissensgesellschaft nichts wichtiger und dringlicher als allgemeine Erleichterungen des Zugangs zum Weltwissen, mit Vorzugsrechten für Entwicklungsländer. Bislang geschieht das Gegenteil.

In der wöchentlichen nd-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.

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