Deutschland gilt in Kuba als Hardliner

Michael Leutert von der Linksfraktion über die Bundestagsdelegationsreise auf die Karibikinsel

  • Lesedauer: 4 Min.
Nach zehnjähriger Abstinenz reiste vom 7. bis 13. Januar erstmals wieder eine Bundestagsdelegation nach Kuba. Zur Delegation des Haushaltsausschusses gehörte Michael Leutert von der Linksfraktion. Über die Entwicklung der deutsch-kubanischen Beziehungen sprach mit ihm für »nd« Martin Ling.
Michael Leutert
Michael Leutert

nd: Zeichnet sich in den deutsch-kubanischen Beziehungen Tauwetter ab oder wie lässt sich der erste Besuch einer Bundestagsdelegation seit 2002 erklären?
Für Euphorie ist es sicher zu früh, ein Zeichen der Annäherung war der Besuch auf alle Fälle. Er wurde im Haushaltsausschuss interfraktionell über ein Jahr vorbereitet. Dabei mussten angesichts des kühlen Verhältnisses einige Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Aufgabe der Reise war es auszuloten, wie die Beziehungen zwischen Deutschland und Kuba zu verbessern sind. Schon dass die Reise überhaupt stattgefunden hat, trägt daher zur Normalisierung der Beziehungen bei.

Nach der Verhaftung Oppositioneller in Kuba im »Schwarzen Frühling« 2003 wurde die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) von Deutschland auf Eis gelegt. Wird inzwischen über einen Kurswechsel sinniert?
Den scharfen Kurs gegen Kuba ab 2003 hat hauptsächlich der damalige grüne Außenminister Joschka Fischer zu verantworten. Nicht nur die Entwicklungszusammenarbeit wurde damals auf Eis gelegt, sondern auch das unterschriftsreife Kulturabkommen. Wir haben bei unseren Gesprächen vorgefühlt, ob dieses Abkommen nicht doch noch zustande kommen könnte und wie in der Entwicklungszusammenarbeit ein normales Verhältnis herzustellen ist. Kleinere Maßnahmen gibt es bereits, die von der deutschen Regierung unterstützt werden, zum Beispiel Projekte der Welthungerhilfe, die seit 15 Jahren mit Kuba zusammenarbeitet, oder der Wiederaufbau einer 2008 durch einen Hurrikan zerstörten Kirche in der Provinz Pinar del Río mit Mitteln des Auswärtigen Amtes.

Seit 1996 bestimmt der sogenannte Gemeinsame Standpunkt die Politik der EU und ihrer Mitgliedsstaaten gegenüber Kuba. Der fordert offen einen Systemwechsel. Ist das für Kuba Thema oder gilt: Papier ist geduldig?
Vorab: Den Gemeinsamen Standpunkt habe ich schon immer für falsch gehalten und dabei bleibe ich. So etwas hat die EU zu keinem Land der Welt formuliert, weder zu Saudi-Arabien noch zu Kolumbien oder Mexiko, die alle für notorische Menschenrechtsverletzungen bekannt sind. So einen Gemeinsamen Standpunkt gibt es nur zu Kuba, und das ist inakzeptabel. Dass sich Deutschland noch sklavisch daran orientiert, ist nicht zeitgemäß. Andere EU-Länder wie Spanien oder Frankreich kümmern sich nicht darum und haben ihre Beziehungen zu Kuba längst wieder auf eine vernünftige Grundlage gestellt. Deutschland wird derzeit in Kuba als Hardliner betrachtet. In vielen Gesprächen wurden wir darum gebeten, darauf einzuwirken, dass Deutschland seinen Standpunkt verändert.

Wie ist die Situation der Menschenrechte einzuschätzen?
In der vergangenen Legislaturperiode saß ich auch im Menschenrechtsausschuss. Die Erfahrung daraus: Mir ist kaum ein Land der Welt bekannt, in dem es nicht in der einen oder anderen Art Verletzungen gibt bei den bürgerlichen oder den sozialen Menschenrechten. Nur bei Kuba werden sie ständig in den Vordergrund gerückt. Fraglos gibt es auch in Kuba Probleme. Wir konnten uns darüber mit dem Erzbischof von Havanna, Jaime Ortega Alamino, ausgiebig unterhalten. Der nahm kein Blatt vor den Mund: Die Kubaner hätten selbstverständlich gerne Reisefreiheit, Wahlfreiheit etc., aber ihre zentralen Sorgen seien das nicht, sondern das Leben mit dem Mangel, die Auswirkungen der angelaufenen Arbeitsmarktreformen, im Zuge derer 1 Million Beschäftigte vom Staatssektor in den Privatsektor umgelenkt werden sollen. Ortega machte klar, dass die Dissidenten mit ihrer Agenda der bürgerlichen Menschenrechte bei den meisten Kubanern wenig punkten können, weil die Alltagsprobleme eben andere seien. Der Kardinal kritisierte auch die Instrumentalisierung der Menschenrechtsfrage durch die USA und die EU nach dem Motto: Bevor die Menschenrechte nicht gewahrt sind, gibt es keine Zusammenarbeit. Ortega hält das für falsch und meinte: »Viele kleine Schritte sind wichtiger als wenige große Worte.«

Wie erlebten Sie den Reformprozess in Kuba, der durch den Parteitag im April 2011 forciert werden sollte?
Der ist spürbar. Offiziell, weil wir bei allen Terminen ausführlich über die im April verabschiedeten Leitlinien informiert wurden. Aber auch inoffiziell. Es war zu merken, dass viele Kubaner Hoffnung darauf setzen, dass sie künftig zum Beispiel Autos und Wohnungen kaufen und verkaufen dürfen, Cafés eröffnen etc. Darin sehen sie neue Entwicklungsmöglichkeiten. Aber sie sehen auch die Probleme: steigendes Korruptionspotenzial, fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten für die Umzusetzenden im privaten Sektor. Die Gespräche mit Partei- und Regierungsvertretern haben mir aber gezeigt, dass ihnen die Probleme bewusst sind. Kuba ist im Wandel - mit Chancen und Risiken.

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