Kaum erforschter Tunnelgräber

Silbermulle wühlen sich in Ostafrika durchs Erdreich und kommen dabei mit extrem wenig Sauerstoff aus

  • Walter Schmidt
  • Lesedauer: 5 Min.

Den kleinen Kerl als steilen Zahn zu bezeichnen, würde den Kern der Sache nicht ganz treffen - schon deshalb, weil das Auffälligste am Silbergrauen Erdbohrer nicht einer, sondern vier Zähne sind. Einem Blinden könnte man das vor allem in Malawi sowie in Mosambik, Tansania, Sambia, Kenia und dem Kongo verbreitete Wühltier vielleicht so schildern: Größe in etwa wie ein längliches Brötchen, graues bis hellbraunes Fell, maulwurfähnliche Pfoten mit spitzen Krallen sowie kaum erkennbare Augen und Ohren; außerdem eine rosige, wenn auch meist schmutzverklebte Nase und darunter je zwei himmel- und erdwärts weisende Nagezähne.

Und was für welche! Kürzlich machte der auch Silbermull genannte Säuger erstmals von sich reden, nachdem Zoologen der Universität Lyon die Schädel von 55 Exemplaren mit einem Computertomographen untersucht hatten. Sie fanden heraus, dass der Nager - neben einigen Känguru- und Seekuh-Arten - zu jenen seltenen Lebewesen gehört, bei denen die hinteren Kauwerkzeuge immer wieder ersetzt werden. Das geschieht, indem die fünf bis sieben Backenzähne auf jeder Seite des Mauls allmählich nach vorne wandern und hinten im Kiefer Platz für einen Neuzugang machen, während vorne im Maul der älteste Zahn ausfällt.

Ausgetauscht werden aber nur die Kauzähne. »Die Schneidezähne wachsen wie bei allen Nagern und Hasentieren ständig nach«, sagt der Evolutionsbiologe Laurent Viriot von der Universität Lyon. Die Mulle halten sie scharf, indem sie ihre vier Nagezähne im Schlaf geräuschvoll aneinander reiben - anders als beim Menschen ein gesundes Zähneknirschen.

Das lebenslange Ersetzen und Schärfen der Zähne ist für Silbermulle unerlässlich - schon weil die Tiere sich von Knollen, Wurzeln und Zwiebeln ernähren. Darüber hinaus gehören sie zu den so genannten Zahngräbern - anders als der zu den Handgräbern zählende Maulwurf. »Silbermulle graben ihre Höhlengänge auch während der Trockenzeit, wenn die Böden fast betonhart sind«, berichtet der tschechische Zoologe Radim Šubera von der südböhmischen Universität in České Budějovice. »Wir schätzen ihren Tagesfortschritt auf etwa 70 Zentimeter.« Das ewige Lockern des Erdreichs mit den Schneidezähnen nutzt die Hauptwerkzeuge des kleinen Nagers mithin stark ab. Doch sie wachsen schnell nach: »Der sichtbare Zahnteil ist ein Produkt von nur einer Woche«, sagt Hynek Burda von der Universität Duisburg-Essen, der neben seinem früheren Doktoranden weltweit zu den wenigen Kennern dieser kaum erforschten Tierart gehört. Über sozial lebende Sandgräber-Arten wie Nackt- und Graumulle wissen Fachleute inzwischen deutlich mehr als über die Einzelgänger mit dem seidigen Fell.

In seinem Essener Institut hält Burda 14 Silbermulle, artgemäß getrennt in eigenen Terrarien. Der von Lampen gespendete Tag dauert hier etwa zwölf Stunden, ähnlich wie in der afrikanischen Heimat der Tiere. Das Licht brauchen jedoch eher die Forscher als die Mulle. Sie können ohnehin nur Hell von Dunkel unterscheiden und außerdem kurzwelliges Blaulicht wahrnehmen - was reicht, um in der Wildnis zu erkennen, ob der stets verschlossene Höhleneingang von einem Fressfeind geöffnet worden ist und der nunmehr schutzlose Gang rasch mit Erde verrammelt werden muss. Nur an den Universitäten Duisburg-Essen und České Budějovice werden Silbermulle gehalten und erforscht - vielleicht kein Wunder, da ihre Nachzucht bisher nicht gelungen ist, ganz anders als bei Nackt- oder Graumullen. Burdas Team erforscht, wie gut die Silbermulle hören, wie sie sich verständigen und ob sie - wie Graumulle auch - über einen Magnetsinn verfügen und ihre Gänge womöglich nach dem Erdmagnetfeld ausrichten. Untersucht wird auch ihr Energiestoffwechsel beim Buddeln, und zwar anhand des veratmeten Sauerstoffs und der Produktion von Kohlendioxid.

Es ist schwer, sich vorzustellen, wie die Mulle in ihren engen Gängen genügend Luft bekommen, während sie die bereits gegrabene Röhre hinter sich mit dem eigenen Körper verstopfen. »Die Luft in den Gängen enthält weniger Sauerstoff als die Luft am Gipfel des Mount Everest, dafür aber viel Kohlendioxid«, sagt der Essener Zoologe. »Trotzdem arbeiten die Tiere unter diesen Umständen schwer.« Durch die Bodenporen dringen kann der nötige Sauerstoff nicht - oder jedenfalls nicht nur -, denn die Tiere graben auch, wenn es regnet und Sickerwasser den Porenraum des Erdreichs ausfüllt.

Die Essener und Budějovicer Zoologen versuchen zudem zu klären, wie das Immunsystem der Mulle mit jenen Bakterien und Pilzen fertig wird, die zuhauf in den gegrabenen Gängen vorkommen. Geklärt werden soll auch, wie sich die beiden Geschlechter finden. In der Wildnis graben sich männliche und weibliche Erdbohrer verzweigte Single-Wohnungen, die unverbunden sind mit denen ihrer Nachbarn. Die Abstände der Höhlen betragen bisweilen nur zehn Schritte, doch manchmal liegen die Baue Hunderte von Metern auseinander. Bemerkenswert genug, verzichten Silbermulle auch darauf, durch Trommelgeräusche über größere Distanzen hinweg auf sich aufmerksam zu machen.

Körperliche Attraktivität kann kein Lockmittel und Suchkriterium sein. »Die Tiere sind ja fast blind, weshalb sie einander wahrscheinlich mit Hilfe der Nase oder den Ohren finden«, vermutet Hynek Burda. Zum Glück gelingt die Suche oft - sofern »sie beim Herumlaufen draußen nicht gefressen werden«. Im Essener Uni-Labor immerhin droht diese Gefahr nicht.

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