Intelligenz ist auch beim Stromnetz gefragt

Computergesteuerte Leitungen sollen schwankende Stromkapazitäten ausgleichen

  • Nick Reimer
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Kühlschrank, der sich zur Tagesschau aus Stromspargründen ausschaltet, oder eine Waschmaschine, die erst nachts zur Höchstform aufläuft? Die Zukunft der Energieversorgung liegt in intelligenten, internetgesteuerten Stromnetzen, da sind sich die Experten einig.

Bislang funktionierte die Stromversorgung so: Irgendwo steht ein großes Kraftwerk, von dem aus über Hochspannungsleitungen der Strom zu den Städten transportiert. Über Umspannwerke wird er dort in die Verteilstromnetze an die Kunden geliefert. Die künftige Stromversorgung geht quasi andersherum: Auf den Feldern der Bauern stehen Windräder, auf den Dächern der Kunden Solaranlagen, in den Kommunen Biomasse-Kraftwerke, die alle ihren Strom ins Verteilnetz einspeisen, dessen Überschüsse dann durch die Hochspannungsleitungen transportiert werden. »Dafür brauchen wir intelligente Netze«, erläuterte Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) am Donnerstag auf der Konferenz E-Energy in Berlin. Man braucht sozusagen Stromnetze, die in beide Richtungen »denken« können.

»Denken« bedeutet in diesem Fall natürlich in erster Linie »Technologie«. Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) hatte zum zweitägigen Kongress nach Berlin geladen, um genau über diese Technologie zu beraten. Im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR gab acatech-Präsident Henning Kagermann eine kleine historische Orientierung: »Am Anfang war das Internet der Dinge - die Vernetzung von realer und virtueller Welt«. Dem folgte ein »Internet der Dienste« als Grundlage der web-basierten Wissensgesellschaft. Kagermann: »Jetzt muss das Internet der Energie folgen.« Gemeint sind damit sogenannte smart Grids - das sind über das Internet gesteuerte Stromnetze.

Ein Beispiel aus Cuxhaven: An der Nordsee stehen viele Windkraftanlagen. Bläst sehr viel Wind, ist der Windstrom an der Stromhandelsbörse billig. Über das Internet erhalten die Kühlaggregate der Fischlagerhäuser den Befehl: »Schalte dich an, kühle jetzt.« Der Kühlhausbetreiber spart so Energiekosten, der Windradbetreiber muss sein Windrad nicht abstellen. Das müsste er nämlich, wenn es keinen Abnehmer für seinen Strom gibt.

»Wir wollen bis 2050 zu hundert Prozent auf erneuerbare Energie umsteigen«, erklärte Wirtschaftsminister Rösler auf der Konferenz, »das setzt voraus, dass wir eine Lösung für die Volatilität der Erneuerbaren finden«. Der Wind blase nun mal nicht immer, und manchmal scheine eben auch keine Sonne.

Tatsächlich ist genau dies ein Grundproblem der vielzitierten Energiewende: Ins Stromnetz muss immer die gleiche Menge an Strom eingespeist werden wie abgenommen wird. Schalten die Deutschen beispielsweise landesweit zur Tagesschau um 20:15 Uhr den Fernseher ein, steigt der Stromverbrauch enorm an. Also müssen zu dieser Zeit auch mehr Kraftwerke angeschaltet werden.

Das zumindest ist die Gegenwart. Die Zukunft dagegen könnte so aussehen: Schaltet Otto Mustermann den Fernseher ein, sagt das Internet dem Kühlschrank: »Du kriegst jetzt mal keinen Strom«. 20, 30 Minuten können Speisen und Getränke das ohne Qualitätsverlust überstehen. Danach schaltet dieses intelligente System kurzfristig die Klimaanlage im benachbarten Hotel ab. Und die Waschmaschine wird in dieser Energiezukunft automatisch nach zwei Uhr nachts angeschaltet, weil zu dieser Zeit alle schlafen und es demnach auch keine Nachfrage nach Strom gibt - die Windräder sich ja aber trotzdem drehen.

Allerdings stehen wir derzeit erst am Anfang dieser möglichen Zukunft dieses »Internets der Energie«. Viele komplexe technische Fragen sind zu klären, ebenso wie Fragen der Infrastruktur, des Datenschutzes und der Datensicherheit. Bis 2015 stellt die Bundesregierung deshalb 3,4 Milliarden Euro für die Erforschung von Netz und Speichertechnologie zur Verfügung.

Aber, und darüber waren sich die gut 400 Fachleute in Berlin einig: Intelligente Netze sind der »Flaschenhals der Energiewende«. Und diese sei - um sich die Größe der Aufgabe zu verdeutlichen - »ein Projekt, dass deutlich komplizierter ist als die Wiedervereinigung«, erklärte Roger Kohlmann vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Denn: »Damals ging es darum, die Blaupause West auf den Osten zu übertragen. Aber diesmal gibt es keine Blaupause.«

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