Nasse Säcke gegen trockenen Müll

AKW-Gegner üben heftige Kritik an Atommülltransporten - und probieren schon mal das Blockieren aus

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Konflikt um mehrere Dutzend drohende Atom-Transporte quer durch Nordrhein-Westfalen geht in eine neue Runde: Am Samstag fand ein Aktionstag in mehreren Städten statt - inklusive Blockadetraining.
Blockadetraining: Statt der Seele die Beine baumeln lassen.
Blockadetraining: Statt der Seele die Beine baumeln lassen.

Stehblockaden könnten zu leicht abgeräumt werden, besser seien Sitzblockaden, sagt der Mittdreißiger am Megaphon, während ihm vier Dutzend Atomkraftgegner zuhören. Am besten sei »die Variante nasser Sack«. Wie die funktioniert, lässt er auch gleich praktisch demonstrieren: Ein junger Mann mit Schiebermütze wird von zwei »Polizisten« weggeschleppt, er lässt die Beine baumeln, hängt schwer auf den Schultern derjenigen, die ihn von der Probeblockade entfernen. Nasser Sack? »Das ist die Hölle für Polizisten«, ertönt es aus dem Megaphon.

Es ist Samstagmittag in Duisburg-Wanheim - und die Anti-AKW-Bewegung stellt klar, dass sie mehrere Dutzend in diesem Jahr drohende Atommülltransporte nicht widerstandslos hinzunehmen gedenkt. Im Hintergrund sieht man den »Magic Mountain« mit seiner begehbaren, achterbahn-ähnlichen Skulptur - ein Freizeitpark, der auf einer dioxinbelasteten Halde errichtet wurde. Keine hundert Meter entfernt steht eine Konditionierungsanlage der Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS), in der radioaktives Material verarbeitet wird.

Über dreihundert Menschen sind in Duisburg zusammengekommen, um zu protestieren. Auch in anderen Städten beteiligten sich hunderte AKW-Gegner an Aktionen. Und das aus gutem Grund: Atommüll soll nicht nur weiterhin von Duisburg-Wanheim ins Brennelemente-Zwischenlager Ahaus (Hauptanteilseigner: GNS) gefahren werden. Regelmäßig finden zudem Uran-Transporte in die Urananreicherungsanlage in Gronau statt - und von dort aus in alle Welt. Auch über Autobahnen führen würde ein Transport vom britischen Sellafield ins norddeutsche AKW Grohnde, der für März geplant ist. Im Gepäck: 400 Kilogramm Plutonium.

Auf Abtransport warten zudem nicht weniger als 152 Castor-Behälter mit knapp 300 000 radioaktiven Graphitkugeln. Noch stehen sie im Forschungszentrum Jülich. Per LKW soll die Hinterlassenschaft zweier stillgelegter Forschungsreaktoren quer durch NRW gekarrt werden. Das Ziel: das Brennelementezwischenlager Ahaus. Allein in diesem Jahr, so die Befürchtung, stehen 26 solcher Atommülltransporte an.

Auch die rot-grüne Landesregierung würde die 152 Atommüllbehälter lieber in Jülich belassen und das Zwischenlager vor Ort entsprechend »ertüchtigen«. Jedoch werfen Kritiker Rot-Grün vor, keine klare Linie zu verfolgen und den Konflikt mit der zuständigen Bundesebene zu scheuen. Die Bundesrepublik Deutschland hält 90 Prozent der Anteile am Jülicher Forschungszentrum.

Forschungsministerin Annette Schavan bekundete Ende Januar Gesprächsbereitschaft. Ihre NRW-Amtskollegin Svenja Schulze (SPD) begrüßte das und schlug ihr vor, »das weitere Vorgehen in bilateralen Gesprächen festzulegen«.

Derweil jedoch werden Fakten geschaffen: Das Forschungszentrum Jülich habe die GNS aufgefordert, weiter mit Hochdruck an der Vorbereitung der Castor-Transporte zu arbeiten. Das teilte GNS-Geschäftsführer Holger Bröskamp den Ahauser Ratsmitgliedern am Donnerstag mit. Bröskamp ließ die Lokalpolitiker zudem wissen, dass die GNS einen zehn Meter hohen Sicherheitszaun um das Ahauser Lager zu errichten trachte - als Reaktion auf den 11. September 2001, wie der Atommanager hervorhob.

Petra Ben Bdida hat für den samstäglichen Protest in Duisburg ein kleines Transparent gebastelt: »Strahlend jetzt in Wanheim«, ist darauf zu lesen. »Die meisten Anwohner wissen nicht, was die GNS hier tut«, sagt die Frau, die nur 200 Meter entfernt vom GNS-Werk wohnt. Sie selbst habe nur durch Zufall und gezielte Nachfragen davon erfahren. Gespräche mit Passanten bestätigen ihre Aussage.

Die Nachbarn wollen den Grund der Proteste erfahren - und sind erstaunt darüber, dass in ihrem Wohnumfeld mit Atommüll hantiert wird. Vor dem Werkstor stehend, deutet Petra Ben Bdida auf einen Kindergarten, der allenfalls 50 Meter entfernt steht. »Hier führen die Atomtransporte vorbei, morgens um fünf!«

Matthias Schneider ist ein bisschen besser informiert: Im GNS-Werk würden insbesondere Metallteile aus AKWs gereinigt und recycelt, berichtet der Sprecher der Duisburger Grünen. Das Metall werde in der lokalen Industrie weiter genutzt. 3300 Tonnen radioaktiver Müll werde in den Werkshallen gelagert. Derweil habe die GNS einen »hohen ökonomischen Druck«, möglichst viel Material als dekontaminiert zu deklarieren. Umso weniger müsse Müll dann teuer »endgelagert« werden. Auch Schneider hat indes noch einige Wissenslücken: Was passiert mit dem Abwasser, was, wenn ein Großbrand ausbricht? Warum hat die GNS beantragt, benachbarte Hallen zu nutzen? Entsprechende Anfragen, moniert der Grünen-Politiker, lasse der Betreiber bisher unbeantwortet. Auch die Katastrophenpläne halte die GNS unter Verschluss. Für Schneider hingegen ist klar: »Wer nichts zu verbergen hat, der kann mit offenen Karten spielen.«

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