»Ernsthafte Verletzungen provoziert«

Teilnehmer einer antifaschistischen Demonstration in Nordrhein-Westfalen erheben schwere Vorwürfe gegen die Polizei

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 2 Min.
300 Neonazis, 7000 Gegendemonstranten, ein Schwerverletzter und ein grüner Polizeipräsident in Erklärungsnot: In Münster herrscht Entsetzen nach brutalen Polizeiübergriffen gegen Antifaschisten.

Über mangelnden Polizeischutz konnten sich die 300 Neonazis, die am Sonntag durch Münsters bürgerliches Rumphorstviertel marschierten, wahrlich nicht beklagen: Aufgefahren wurden ein Räumpanzer, zwei Wasserwerfer, eine Polizeireiterstaffel und flaschenweise Pfefferspray. Ergebnis: Die Straße war frei. Für die Nazis. »Alles in allem eine ausgesprochen zufriedenstellende Demonstration«, freute sich Nazikader Christian Worch, der ansonsten eher zur Resignation neigt. (»Seit 22 Jahren treten wir auf der Stelle.«)

Die Gegendemonstranten sind weniger begeistert. Ein »hochaufgerüsteter Polizeiapparat« habe durch die »hermetische Abriegelung« eines ganzen Stadtteils und »massive Gewaltanwendung« den Nazis »die Verbreitung ihrer rassistischen Propaganda« ermöglicht, klagt das Bündnis »Keinen Meter den Nazis«. »Ernsthafte Verletzungen von friedlichen Demonstrierenden wurden dabei provoziert oder zumindest billigend in Kauf genommen«, heißt es in einer Stellungnahme des Bündnisses, das unter anderem von SPD, Grünen und Linkspartei getragen wird.

Ein Demonstrant musste mit einem Schädel-Hirn-Trauma in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Behandelt wurde er auf der Intensivstation, er war offenbar längere Zeit bewusstlos. Die Polizei wirft dem 20-Jährigen vor, Flaschen geworfen und bei seiner Ingewahrsamnahme Widerstand geleistet zu haben. »Die Verletzungen sind Folge dieses Einschreitens«, sagt Polizeipräsident Hubert Wimber, der Blockadeaktionen »vermeiden« wollte, wie er vorher über sein Konzept wissen ließ. Ein Augenzeuge hingegen berichtet von vier bis fünf Polizisten, die auf den jungen Mann eingestürmt seien, ihn festgehalten und auf ihn eingeprügelt hätten. Eine Demonstrantin versuchte nach eigener Aussage, die Gewalt verbal zu stoppen. Ein Polizist habe sie daraufhin angeherrscht: »Und Du möchtest die Nächste sein?« Nach nd-Informationen liegt der Polizei Videomaterial von der Aktion vor.

Die LINKE-Bundestagsabgeordnete Ingrid Remmers erhebt weitere Vorwürfe: Sie sei von einer Polizistin »brutal weggestoßen« worden. Auf dem Polizeipräsidium habe sie sich nackt ausziehen müssen. Sie sei klar als »Parlamentarische Beobachterin« zu erkennen gewesen und habe schlicht das Gespräch mit der Polizei gesucht, um zu deeskalieren, beteuert Remmers.

Münsters Grünen-Chef Gunnar Risse und Matthi Bolte, innenpolitischer Sprecher der grünen Landtagsfraktion, mahnen zur Aufklärung der »Vorwürfe gegen einzelne Polizisten«. Der grüne Ratsherr Carsten Peters, Sprecher des Bündnisses »Keinen Meter den Nazis«, fordert hingegen ein generelles Umdenken der Münsteraner Polizei: Friedliche Blockaden müssten als legitim angesehen werden.

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