Brisante Tiefenbohrung

JOACHIM JAHNS über Erwin Strittmatters Militärbiografie

  • Rudolf Scholz
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist ein riskanter Doppeltitel, den der Leipziger Verleger und Autor Joachim Jahns für sein Buch gewählt hat: »Erwin Strittmatter und die SS, Günter Grass und die Waffen-SS«. Besonders in Bezug auf Strittmatter könnte befürchtet werden, hier handle es sich um den hinterhältigen Versuch, den populären Schriftsteller zu demontieren.

Diese Befürchtung ist unbegründet. Jahns, der offen bekennt, Strittmatters Werke von früher Jugend an begeistert gelesen zu haben, und der seine Sympathie für ihn auch heute nicht leugnet, verfolgt die entgegengesetzte Absicht. Er will die Debatte um die in der DDR »systematisch verschwiegene« Militärbiografie Strittmatters versachlichen, um die in letzter Zeit eine mit zunehmender Schärfe geführte Polemik entbrannte. Seine Suche nach neuen Fakten wird zu einer brisanten biografischen Tiefenbohrung. Jahns, der sich mit seinem Buch »Der Warschauer Ghettokönig« einen Namen machte, weist erstmals nach, dass Erwin Strittmatter sich freiwillig zur Schutzpolizei meldete und einen Feldwebeldienstgrad trug. Die Motivation seiner Freiwilligenmeldung: Als junger Familienvater will er sich dem Fronteinsatz entziehen. Das ist mit einem konfliktreichen Hin-und-her-Gerissensein verbunden, wie Jahns herausfand - zugleich ein Beispiel dafür, dass sich der schlitzohrige Lausitzer allzeit auf die Strategie des »Sich-Durchschlängelns« verstand und nötigenfalls auch fragwürdige Kompromisse einging, auch Notlügen bemühte, um seine Karriere nicht zu gefährden.

Für eine SS-Mitgliedschaft Strittmatters gibt es bis dato keine Beweise. Die 1943 erfolgte Umbenennung der Polizei-Regimenter in SS-Polizei-Regimenter war nicht automatisch mit SS-Mitgliedschaft verbunden. Dass Strittmatter an Kriegsverbrechen beteiligt war, ist nicht belegbar. Doch auch für Jahns steht außer Frage: Als Schreiber des »Kriegstagebuchs« des Bataillons muss er Kenntnis davon besessen haben.

Trifft der Vorwurf zu, er habe dieses traumatisch in ihm fortwirkende Wissen in seiner Literatur kaum oder nur beiläufig und verschlüsselt thematisiert und seine Leser durch Verschweigen getäuscht? Jahns, auf beharrlicher Spurensuche, macht die Probe aufs Exempel. Er liefert Belege, die das Gegenteil bezeugen und im gesamten Werk des Dichters nachweisbar sind. Wie viel Strittmatter stecke eigentlich in seinen Romanfiguren, fragt er, den Dichter gegen seine selbstgerechten Kritiker in Schutz nehmend, ohne ihn angesichts der akribisch recherchierten Fakten zu schonen.

Mit gleicher Faktenbesessenheit hinterfragt er die Waffen-SS-Vergangenheit von Günter Grass, der am 20. April 1945 bei Spremberg als Richtschütze kämpfend verletzt wurde. Auch wenn seine konfrontative Darstellung Tücken haben mag: Hier eröffnet sich dem Autor ein geografischer Raum, der beide Dichter miteinander verbindet und die Schwierigkeit sichtbar macht, in ideologisch aufgeheizten Zeiten ehrlich und wahrhaftig mit der eigenen Biografie umzugehen. Dergestalt wird die Jahnssche Recherche zum »Tatsachenroman, der sich als Krimi entpuppt«, wie Gerhard Zwerenz in seiner online erscheinenden »Sächsischen Autobiografie« anmerkt.

Joachim Jahns: Erwin Strittmatter und die SS, Günter Grass und die Waffen-SS. Dingsda-Verlag, 206 S., geb., 25 €.

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