»Schwarze Löcher« und Rentenreform

Polens Gesellschaft bleibt halbiert: Politik gegen Volksmeinung

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.
Warschau hat bewegte Tage hinter sich: Ende vergangener Woche wurde wieder einmal augenscheinlich, wie offen und durchsichtig die Demokratie in der politischen Halbwelt gedeiht.

Man muss dem Begriff der politischen Halbwelt nicht gleich einen kriminellen Kontext beimessen. Gemeint ist damit einfach der Tatbestand, dass das gesellschaftliche Geschehen eben halbiert ist: die Politik auf der einen, die Volksmeinung auf der anderen Seite. Nichts Besonderes auf Erden.

Außenminister Radoslaw Sikorski leitete am vergangenen Donnerstag im Sejm eine Debatte zur polnischen Außenpolitik ein - reichlich »Europa« zugewandt, in ihrer »östlichen Dimension« dagegen ziemlich bescheiden. Mit keiner Silbe erwähnte er jedoch das seit Tagen aus allen polnischen Medien dröhnende Thema der »schwarzen Löcher«. So werden die Geheimgefängnisse der CIA bezeichnet, von denen eines im masurischen Stare Kiejstuty unterhalten wurde - auf einem Gelände, das zeitweilig (2002-2003) der polnischen Souveränität entzogen war.

Das Thema tauchte wieder auf, nachdem durchgesickert war, dass der ehemalige Chef des Auslandsgeheimdienstes Zbigniew Siemiatkowski von der Staatsanwaltschaft angeklagt wurde, der CIA rechtswidrig die Nutzung einer früheren polnischen Agentenschule zur »Verwahrung« mutmaßlicher Al-Qaida-Kämpfer ermöglicht zu haben. In solchen »schwarzen Löchern« wurden die Gefangenen - wie inzwischen aus vielen Quellen bekannt ist - mit Genehmigung höchster US-amerikanischer Stellen gefoltert.

Zudem wurde publik, dass die Staatsanwaltschaft über genügend Material verfügt, um den damaligen Regierungschef Leszek Miller, heute wieder Vorsitzender des Bundes der Demokratischen Linken (SLD), vor das Staatstribunal zu laden.

Es verwundert durchaus nicht, dass Außenminister Sikorski dazu schwieg. Polens gesamte politische Klasse und deren Aufguss - der Sejm - ist USA-treu. Sogar der »Schwarze Peter« im Parlament, Janusz Palikot, verlor in der Debatte kein Wort darüber. Wenige Tage zuvor hatte er Miller noch öffentlich als einen für »Polens Schande verantwortlichen Schädling« beschimpft. Leszek Miller selbst beharrte lächelnd auf der Lüge, es habe keine US-amerikanischen Geheimgefängnisse gegeben. Konsequent mauert er mit dem Schlagwort »höchstes Staatsgeheimnis«. Ebenso stur besteht er auf der Unwahrheit, die Teilnahme Polens am Irak-Krieg sei verfassungskonform gewesen. Wie zu seiner Regierungszeit standen auch die späteren Kabinette unter Jaroslaw Kaczynski und Donald Tusk auf dem Standpunkt, man habe dem besten Freund und wichtigsten Verbündeten aus staatspolitischen Gründen sowohl im Krieg als auch bei dessen Konsequenzen - und eine davon sind die »schwarzen Löcher« - stillschweigend beistehen müssen.

Umso überraschender waren am Freitag Donald Tusks Worte, Polen sei doch kein Bantustan. »Polen wird nicht mehr ein Land sein, in dem nicht bekannt wird, wenn Politiker, selbst wenn sie mit dem mächtigsten Staat der Welt Hand in Hand gehen, irgendetwas unter dem Tisch erledigen.«

Warum diese einzigartige Flucht nach vorne? Meint der mit seinen Reformvorhaben in der zweiten Amtszeit nicht gerade glücklich agierende Regierungschef, er könne die Mehrheit des Volkes mit außenpolitischen Kunststückchen beschwichtigen? Diese Mehrheit ist nämlich derzeit höchst aufgebracht, weil Tusk das gesetzliche Renteneintrittsalter für Männer wie für Frauen auf 67 Jahre heraufsetzen will. Die Mehrheit hatte auch die Teilnahme am »Kreuzzug gegen den Terrorismus« von Anfang an abgelehnt, doch ihre Meinung wurde missachtet. Und so hat sie keinen Grund, die PR-Tricks des Regierungschefs diesmal ernst zu nehmen.

Vor dem Sejm demonstrierte die Gewerkschaft »Solidarnosc« gerade gegen die Regierungspläne. Während der »Vater« der Rente mit 67 den Gewerkschaftsvorsitzenden im polemischen Eifer als »Rotzjungen« traktierte, lehnte der Sejm das von 2 Millionen Unterschriften getragene Begehren nach einem Referendum in dieser Sache ab. So bekämpfen Politiker aus der »Solidarnosc« die Gewerkschaft »Solidarnosc«.

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