Wahlkampf im Küstenland

Von Baden-Württemberg kopieren, um in Schleswig-Holstein zu siegen

  • Volker Stahl und Folke Havekost
  • Lesedauer: 3 Min.

Hoher Norden, knapp drei Wochen vor der Landtagswahl am 6. Mai: Auf dem Marktplatz im ostholsteinischen Eutin ist von Wahlkampf keine Spur. Fast keine. Plakatiert haben nur die Piraten, die auch als Einzige einen Stand in der 17 000-Einwohner-Stadt aufgebaut haben. »Junge Leute sagen eher ›Nee, lass ma‹, wenn man ihnen Info-Material in die Hand drücken will, die Älteren sprechen eher an«, sagt Michael Kröger. Der 45-Jährige kratzt damit am Image der Partei, die ja gerne als Sammelbecken junger Internet-Nerds dargestellt wird. »Unser Durchschnittsalter in Schleswig-Holstein beträgt 38 Jahre«, sagt Kröger und lacht: »Ja, wir altern schnell.« Besonders durch die vielen Neueintritte. Das hilft im Wahlkampf, der vor allem durch - gerne via Internet eingesammelte - Kleinspenden finanziert wird.

»Täglich kommen vier bis zehn Mitglieder dazu«, ergänzt der örtliche Direktkandidat Alexander Levin, der an dem sonnigen Apriltag mit seinem Mitstreiter den »Kaperbrief« unter das Wahlvolk bringt. »Jetzt mit mehr Inhalt!« verspricht die aktuelle Ausgabe in Anspielung auf das viel kritisierte dünne Wahlprogramm. Erst kurz zuvor war bekannt geworden, dass die Nordlichter größere Teile des Programms ihrer Kollegen aus Baden-Württemberg nach dem Prinzip »Copy & Paste« übernommen haben.

Vor allem die Forderung nach Abschaffung der gar nicht bestehenden Studiengebühren im Lande sorgte für hämisches Gelächter bei der Konkurrenz. »Ihr hättet mehr bei uns abschreiben sollen, um einen Plan für Schleswig-Holstein zu haben«, lästerte Grünen-Landesvorsitzende Eka von Kalben. An den Newcomern prallt das ab. Es sei schließlich richtig, gute Ideen zu kopieren, äußerte sich der 23-jährige Spitzenkandidat Torge Schmidt.

»Zu 40 Prozent« hätten die Waterkant-Piraten kopiert, hält auch in Eutin ein Bürger den Wahlkämpfern triumphierend vor. »Zu 43 Prozent«, entgegnet der 42-jährige Levin postwendend. Eine typische Antwort für die Piraten, die gerne mit ihren Unzulänglichkeit und ihrer Unerfahrenheit kokettieren.

Politisch unerfahren sind zumindest die Eutiner Wahlkämpfer nicht, beide haben eine FDP-Vergangenheit. »Ich war in Hamburg Mitglied«, antwortet Kröger, »bin aber 2007 ausgetreten, weil mir der neoliberale Kurs nicht zusagte.« Die thematische Verengung auf die Steuern und die Koalition mit der rechtspopulistischen Schill-Partei haben den Betriebswirt von den Liberalen entfernt. Levin habe nach zehn Jahren in der FDP »überall mal reingeschnuppert, auch bei den Grünen«. Die vielen »liberalen Ansätze« der Piraten und das breite Meinungsspektrum »von weit links bis konservativ« hätten den Physiker an der jungen Partei gereizt.

Gläserne Verwaltung, dezentrale Energiepolitik, kostenlose Bildung, ein Insolvenzrecht für Kommunen als »eine Art Befreiungsschlag« und als Mantra die umfassende Transparenz politischer Entscheidungen: Das sind die Schwerpunkte der schleswig-holsteinischen Piraten, die sich selbst als »weder links noch rechts noch ausschließlich konservativ oder liberal« betrachten. Am Eutiner Marktstand sind die Hauptthemen grün eingefärbt. Die ehemalige Grünen-Bundesvorsitzende Angelika Beer, die auf der Piraten-Landesliste kandidiert, würde sich wohl fühlen. Es geht um den lokalen Aufreger einer Fehmarn-Belt-Querung, um Gentechnik und Massentierhaltung. »Bei uns sind nicht nur Internet-Nerds«, betont Levin.

Bloß das Vorurteil mit den wenig Frauen stimme leider. »Das liegt an unserer Kandidatenbefragung«, vermutet Levin: »Es schreckt vor allem Frauen ab, sich auf einer von 1000 Leuten besuchten Versammlung auf harte und lautstark vorgebrachte Fragen einzulassen.« Auf der 30-köpfigen Landesliste stehen nur zwei Frauen. Die politikerfahrene Beer auf Platz sechs und Birgitt Piepgras auf Platz neun. Sie ist die Mutter des Spitzenkandidaten Torge Schmidt.

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