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Wurzeln der Skepsis

Kann analytisches Denken die Kraft des Glaubens schmälern?

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.

Psychologische Studien muten gelegentlich etwas skurril an und sind, was ihre Aussagekraft betrifft, mit Vorsicht zu genießen. Dennoch werfen sie nicht selten ein Licht auf Dinge, über die es sich lohnt gründlicher nachzudenken.

Wie reagieren Menschen auf unterschwellige Reize aus ihrer Umwelt? ist zum Beispiel eine Frage, die Psychologen schon seit langem interessiert. Erst kürzlich hat ein Forscherteam um Jordan LaBouff von der University of Maine hierzu ein ungewöhnliches Experiment durchgeführt. In London befragten die Wissenschaftler Menschen aus 30 Ländern nach ihrer politischen Einstellung. Das geschah einmal vor der Westminster Abbey und ein andermal in der Nähe des Parlamentsgebäudes. Um das Ergebnis nicht zu verzerren, wurden nur Leute angesprochen, die nicht in die Gebäude hinein-, sondern lediglich daran vorbeigingen. Dennoch war das Ergebnis eindeutig: In der Nähe der Kirche äußerten sich die Befragten deutlich konservativer (und religiöser) als vor dem Parlament.

Eine andere Spur haben jetzt die kanadischen Psychologen Will Gervais und Ara Norenzayan verfolgt. Sie stellten über 650 Versuchspersonen mehrere Denkaufgaben, deren Lösung intuitiv geradezu vorgegeben scheint. Ein Beispiel: »Ein Ball und ein Schläger kosten zusammen 1,10 Dollar. Der Schläger kostet einen Dollar mehr als der Ball. Wie viel Cent kostet der Ball?« Tatsächlich antworteten die meisten spontan: »10 Cent« - und lagen damit falsch. Durch analytisches Nachdenken fanden andere die richtige Antwort: »5 Cent«.

So weit, so gut. Doch dann geschah etwas, was die beiden Forscher vermutlich selbst überrascht hat: Menschen, die sich bei der Beantwortung der Frage allein auf ihr »Bauchgefühl« verließen, gaben häufiger an, gläubig zu sein als jene, die durch analytisches Nachdenken zu einer Lösung gelangt waren.

Aber es kommt noch besser, wie die Forscher im Fachblatt »Science« (Bd. 336, S. 493) berichten: Allein das Betrachten von Kunstwerken, die analytisches Denken symbolisieren, wie Auguste Rodins Plastik »Der Denker«, veranlasste zahlreiche Probanden, sich auf einer Skala für Gläubigkeit hinterher niedriger einzustufen als beim Betrachten von neutralen Kunstwerken.

Die Frage, was bei derartigen Versuchen Ursache, Wirkung oder nur Korrelation ist, lässt sich natürlich ebenso schwer beantworten wie die nach der Dauerhaftigkeit der »Glaubensverluste«. Dennoch wagen Gervais und Norenzayan eine Hypothese: Im menschlichen Gehirn gibt es zwei kognitive Systeme zur Verarbeitung von Informationen, die teils zusammen, teils gegeneinander arbeiten: das relativ schnelle intuitive Denken und das relativ langsame analytische Denken. Wer frühzeitig auf ein kritisches und analytisches Denken geprägt wird, neigt später eher zum Unglauben. Dagegen sind Menschen, die sich vorrangig auf ihr intuitives System verlassen und wenig »Training« im analytischen Denken haben, für übernatürliche Vorstellungen empfänglicher. Häufig wird hieraus ein vergleichsweise stabiles Persönlichkeitsmerkmal, dessen Entwicklung jedoch in gewissen Grenzen offen ist für die Einflüsse des analytischen Systems und durch diese zumindest vorübergehend abgeschwächt werden kann, wie das Experiment nahelegt.

Nun mag niemand bestreiten, dass religiöses Denken neben kognitiven auch vielfältige soziale und kulturelle Ursachen hat. Auf deren Bedeutung weisen die Forscher selbst ausdrücklich hin, um sich nicht arglos in den Verdacht des Reduktionismus zu setzen.

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