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Täve schindet sich über die steile Wand von Meerane

Vor 60 Jahren rollte die Friedensfahrt der Radstars zum ersten Mal über deutschen Boden

  • Manfred Hönel
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Mai zeigte am Sonnabend dem »Peloton« mit den zahlreichen Grauköpfen die kalte Schulter. Es nieselte vor dem Friedensfahrtmuseum im Magdeburger Börde-Dorf Kleinmühlingen. Dennoch nahmen die Tschechen Jan Smolik und Pavel Dolezel, die Niederländer Frits Schuer , Theo Smit, der Libanese Tarek Abdoul Zahab sowie die beiden Deutschen Günter Hoffmann und Täve Schur für ein Foto-Shooting tapfer Aufstellung. Die Rennfahrer und mehr als hundert Radsportfans mit Männern wie dem ehemaligen Mechaniker Alfons Kindermann wichen auch nicht, als Kleinmühlingens Bürgermeister Bernd Nimmich trotz Regen eine kurze Rede zur Traditionspflege der Friedensfahrt hielt.

»Das bisschen Regen werden wir wohl aushalten. Da sind wir anderes Wetter gewöhnt. Erst am Donnerstag und Freitag habe ich gefroren wie ein Schneider. Wir sind an zwei Tagen einmal 110 und einmal 90 Kilometer gefahren. Es hat furchtbar geregnet und war kalt. Am Berg bei Mülsen St. Jacob und an der »steilen Wand« von Meerane fühlte ich mich 50 Jahre zurück versetzt. Ich habe mich wie früher geschunden. Dabei suchte ich schon den Windschatten meiner Begleiter«, gesteht Täve. Es gibt bestimmt nicht viele, auch nicht unter ehemaligen Straßenrennfahrern, die sich mit 81 noch solchen Strapazen bei Kühle und Regen unterziehen. Gustav-Adolf Schur lächelt: »Wenn extra zwei Briten nach Deutschland kommen, um die alte Strecke der Friedensfahrt abzufahren, kann ich doch nicht kneifen.«

Anlass für Täves Asphaltauftritt und die Feierstunde in Kleinmühlingen ist die runde 60. Vor genau 60 Jahren, am 4. Mai 1952, stürmte zum ersten Mal das bunte Feld der Friedensfahrer über die Neißebrücke in Görlitz auf deutschen Boden. Täve erinnert sich dunkel: »Ich hing in einer Verfolgergruppe. Zu allem Übel stürzte ich bei der Einfahrt ins Görlitzer Stadion über ein Grasbüschel. Mehr als der neunte Rang sprang da nicht heraus.« Einen Tag später setzte der Österreicher Franzl Deutsch zu seinem legendären Soloritt von Görlitz nach Berlin über 197 km an. »Ich gewann und war auf einen Schlag in Österreich und der ehemaligen DDR eine Berühmtheit, staunte der im vorigen Jahr verstorbene Deutsch noch Jahrzehnte später.

»Vor 60 Jahren war zum ersten Mal die Friedensfahrt in Deutschland. Das ist allemal ein Grund, sich zu erinnern«, sagt Günter Hoffmann, 1964 hinter Jan Smolik Gesamtzweiter auf dem Course de la Paix. »Wo es um die Friedensfahrt geht, bin ich zur Stelle. 30 Mal war ich als Fahrer, Trainer, Medienexperte und zuletzt als Veranstalter dabei. Dieses Rennen war mein Leben«, gibt der Prager Pavel Dolezel zu, und es huscht bei diesen Worten kein Lächeln über sein Gesicht. »Schließlich starb die schöne Tour 2004 und damit ein Stück Lebensqualität für unsere Menschen und ein Stück Weltradsportgeschichte.«

Der Libanese Tarek Aboul Zahab hörte sich im Museum immer wieder die Mitschnitte der Live-Reportagen an und schaute die kurzen Filmausschnitte. »Ich bin viermal als Einzelstarter angetreten. Für gute Platzierungen hatte ich keine Chance. Mich lockten aber immer wieder die riesigen Zuschauerkulissen zur Friedensfahrt. Von dem Jubel und Beifall zehre ich mein ganzes Leben.«

Die Holländer waren mit einer kleinen Delegation angereist. »An die Friedensfahrt muss man erinnern. Es war das größte Radrennen, wenn nicht sogar die größte Sportveranstaltung in Osteuropa. Das war Radsport auf höchsten Level. Ich habe 1974 das Violette Trikot als bester Sprinter bei der Friedensfahrt gewonnen. Ein Jahr später holte ich mir zwei Etappensiege bei der Tour de France«, nannte Theo Smit (61) einen Grund seines Besuchs in der Börde. Bei der Feierstunde lernte der einheimische Maurer Frank Helbeck mit Smit eine der Berühmtheiten des einst so großen Rennens kennen. Helbeck hatte mit ein paar Freunden das Museum von der Baugrube bis zum Dachfirst in freiwilliger Arbeit errichtet. 250 Stunden ohne einen Cent!

Durch das Internet gewinnt das Radsportmuseum in Kleinmühlingen an Popularität. »Wir hatten im vorigen Jahr 3500 Besucher. Ich finde das sensationell, wo es das Rennen seit acht Jahren nicht mehr gibt. Und ganz erstaunlich - aus den alten Bundesländern kommen inzwischen mehr Fans als aus dem Osten«, staunt Museumschef Horst Schäfer. Die Weltmeister Bernd Drogan und Uwe Raab fehlten am Sonnabend. »Aber nur, weil sie den Radsport in Deutschland weiter am Rollen halten wollen«, erklärte Schäfer. Drogan schaute am Freitag vorbei, um die Gäste zu begrüßen. Am Sonnabend coachte der Trainer die Brandenburger Nachwuchsfahrer. Raab war mit der Organisation des Rennens »Rund um die Schlosskirche der Lutherstadt Wittenberg« beschäftigt, bei dem es ebenfalls am 5. Mai rund ging.

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