Der ewig unterschätzte Hollande

Zum zweiten Mal hat Frankreich einen Sozialisten zum Präsidenten gewählt

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 6 Min.
Er ist der siebte Präsident der 5. Republik, doch erst der zweite Sozialist in diesem Amt: Auf den Tag genau 31 Jahre nach seinem Vorbild François Mitterrand wurde am Sonntag François Hollande zum Staatsoberhaupt Frankreichs gewählt.

Für François Hollande schien das höchste Staatsamt noch vor einem Jahr völlig außerhalb seiner Möglichkeiten zu liegen. Doch seither überstürzten sich die Ereignisse, die Franzosen entdeckten dadurch einen Politiker, den sie so zuvor nicht gekannt hatten. Nicht nur seine rechten Gegner, sondern auch viele sozialistische Parteifreunde hatten ihn einfach unterschätzt. Hollande galt zwar als kluger und fleißiger, aber sachlich-nüchterner Parteiarbeiter ohne Charisma. Der Posten des Parteivorsitzenden, den ihm der 1997 zum Premier aufgestiegene Lionel Jospin übergeben hatte, schien ihm auf den Leib geschneidert. Seine Stärken lagen im Ausgleich von Differenzen in der Sozialistischen Partei und im Aushandeln von Kompromissen, was ihm bei Freunden den Spitznamen »François la Synthèse« eintrug.

Was unmöglich schien, wurde möglich

Wohl wollte er im Sommer 2011 zur Urabstimmung um die sozialistische Kandidatur für die Präsidentschaftswahl antreten, aber Illusionen machte er sich nicht: Haushoher Favorit war Dominique Strauss-Kahn. Doch als der seinerzeitige Chef des Internationalen Währungsfonds durch seine Affäre in einem New Yorker Hotel aus dem Rennen katapultiert wurde, änderten sich die Konstellationen schlagartig. Für François Hollande schien das Unmögliche möglich zu werden.

Durch eine klug durchdachte und organisierte Kampagne mit vielen erfolgreichen Auftritten an der Parteibasis im ganzen Land sicherte sich Hollande bei der Abstimmung der Mitglieder und Sympathisanten der PS im Oktober die Kandidatur. Amtsinhaber Nicolas Sarkozy, dessen Sieg 2007 nicht nur bei rechts eingestellten Franzosen durchaus Hoffnungen geweckt hatte, war wegen seiner Politik zugunsten von Konzernen, Banken und reichen Franzosen und durch sein persönliches Auftreten immer unbeliebter geworden. Die Aussicht, diesen Mann schlagen zu können, machte Hollande zum Hoffnungsträger für viele, die sich daher auch für seine Person zu interessieren begannen.

François Hollande wurde am 12. August 1954 in Rouen in der Familie eines stramm rechten Arztes und einer links fühlenden katholischen Sozialarbeiterin geboren. Nach dem Abitur studierte er in Paris zuerst an der juristischen Fakultät der Sorbonne, dann an der renommierten Handelshochschule HEC und an der Hochschule für Politische Wissenschaften. Anschließend bestand er mit Glanz die Aufnahmeprüfung für die Elitehochschule ENA, aus der die meisten Spitzenbeamten, Politiker und Konzernchefs Frankreichs hervorgehen. An der ENA, wo ein erbitterter Konkurrenzkampf herrscht, anerkannten ihn die meisten seiner Kommilitonen mehr oder weniger neidlos als »einen der Klügsten«. Aber auch mit seiner Fähigkeit, Frauen zum Lachen zu bringen, soll er sehr erfolgreich gewesen sein. So fand er in seiner Mitstudentin Ségolène Royal eine langjährige Lebensgefährtin und die Mutter seiner vier inzwischen erwachsenen Kinder.

Der brave Parteiarbeiter triumphiert

Tatsächlich ist Hollande, der in der Öffentlichkeit oft trocken und gehemmt wirkt, im persönlichen Umgang durchaus locker und humorvoll. Nach dem Abschluss der ENA 1980 widmeten sich Hollande und Royal, die 1979 der Sozialistischen Partei beigetreten waren, der Vorbereitung des Präsidentschaftswahlkampfes für François Mitterrand. Der machte nach seinem Sieg im Mai 1981 Ségolène Royal zur Beraterin im Elysée. Für ihren Lebensgefährten fand sich im Präsidialamt kein Posten, er wurde im Parteiapparat der PS »zwischengeparkt«. Hollande suchte sich einen Wahlkreis in der Provinz, wurde 1983 Stadtrat in Ussel, 1988 Parlamentsabgeordneter für die Region Corrèze und 1989 stellvertretender Bürgermeister von Tulle. Gleichzeitig amtierte er im Nationalrat, dem »Parlament« der Sozialistischen Partei, der er schließlich von 1997 bis 2008 vorstand.

Im Zusammenhang mit der Urabstimmung über den sozialistischen Präsidentschaftskandidaten 2007 trennte er sich wegen politischer und persönlicher Differenzen nach 37 Jahren von Ségolène Royal, deren Wahlkampf er aber demonstrativ unterstützte. Inzwischen bezeichnet Hollande die 47-jährige Journalistin Valérie Trierweiler als die Frau seines Lebens.

Royal unterlag bei der Präsidentenwahl 2007 mit 47 zu 53 Prozent der Stimmen gegen Sarkozy. Beim anschließenden Krisenparteitag der Sozialisten 2008 in Reims hatte Hollande alle Hände voll zu tun, ein Auseinanderbrechen der Partei abzuwenden. Das bewog ihn auch, den Parteivorsitz an Martine Aubry abzutreten. Fortan widmete er sich mehr und mehr der Vorbereitung der Präsidentschaftswahl 2012 - mit dem inzwischen bekannten Ergebnis: François Hollande erhielt 51,62 Prozent der Stimmen, Amtsinhaber Nicolas Sarkozy erreichte 48,38 Prozent. Das waren rund 18 Millionen gegen 16,87 Millionen Wähler.

Nächste Herausforderung folgt im Juni

Er wolle ein »normaler Präsident« sein, hatte Hollande im Wahlkampf immer wieder betont und sich auch auf seinen Kundgebungen und bei seinen Begegnungen mit den Bürgern im Lande deutlich vom sprunghaften und selbstgefälligen Nicolas Sarkozy abgegrenzt. In seinen ersten Reden als Wahlsieger am Sonntagabend zunächst in Tulle, danach auf dem Pariser Bastille-Platz riet er bei aller Freude zu Besonnenheit und rief zu weiteren Anstrengungen auf. »Dieser Wahlerfolg ist eine Herausforderung, die wir alle gemeinsam annehmen sollten.« Bei den Parlamentswahlen im Juni gelte es, dem Präsidenten die nötige Mehrheit zur Durchsetzung seiner Politik zu verschaffen. »Dann muss jeder auf seinem Platz das Seine beitragen, um Frankreich aus der Krise zu führen und wieder stark zu machen«, rief er aus.

In ersten Reaktionen versicherte die PS-Vorsitzende Martine Aubry, dies sei »nicht nur ein Sieg der Sozialisten, sondern aller links gesinnten Franzosen«. Ségolène Royal betonte, dass auf den Schultern Hollandes jetzt große Verantwortung laste und dass es die Pflicht aller Linken sei, ihn bei der »Wende zu einem gerechteren Frankreich« mit aller Kraft zu unterstützen. Laurent Fabius hob hervor, das Wahlergebnis zeige, »dass in Europa künftig der Ausweg aus der Krise links zu suchen ist«. Jean-Luc Mélenchon, der bei der Präsidentschaftswahl für die Linksfront aus Kommunisten und Partei der Linken kandidiert und für den zweiten Wahlgang dazu aufgerufen hatte, »mit dem Wahlzettel in der Hand Sarkozy zu stürzen«, erinnerte daran, dass Hollande nicht ohne vier Millionen Wähler der Linksfront gesiegt hätte. Dies müsse in der Politik angemessen Berücksichtigung finden.

Wahlverlierer Nicolas Sarkozy räumte seine Niederlage schon am frühen Sonntagabend in einer ungewöhnlich sachlichen Rede ein. Er gratulierte Hollande und wünschte ihm Erfolg. Gleichzeitig deutete er an, dass er für den Parlamentswahlkampf nicht zur Verfügung stehen und sich weitgehend aus der Politik zurückziehen werde. Jean-François Copé, Vorsitzender der Rechtspartei UMP, rief die Rechte zur Sammlung aller Kräfte für die Parlamentswahlen auf, um »zu verhindern, dass die Linken alle Macht in Frankreich bekommen«. Auch der bisherige Arbeitsminister Xavier Bertrand plädierte für einen offensiven Kampf um möglichst viele Plätze im Parlament, um »für einen Ausgleich zum linken Präsidenten und so für politisches Gleichgewicht zu sorgen«. Im Klartext bedeutet das: Die Rechte will im Parlament über ausreichend Stimmen verfügen, um eine Wende in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft jederzeit torpedieren zu können.

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