nd-aktuell.de / 09.05.2012 / Politik / Seite 11

In niedriger Dosierung

Rostocks besondere Beziehung zu Peter Weiss

Velten Schäfer
Der deutsch-schwedische Dramatiker und Schriftsteller Peter Weiss (1916-1982) hatte als Grenzgänger zwischen Ost und West eine besondere Beziehung zu Rostock. Anlässlich seines 30. Todestages am Donnerstag setzen sich in der Hansestadt junge Künstler und Wissenschaftler mit seinem Werk auseinander.

Es gab, kurz nach nach dem Ende seines Lebens im Jahr 1982, schon einmal eine Zeit, in der der sperrige Dramatiker und Schriftsteller Peter Weiss von einem gewissen Pop-Appeal umweht wurde. Ende der 1980er Jahre konnte man in westdeutschen Jugendzentren »existenzialistischen« Gitarren-Barden lauschen, die zu düsterem Moll-Geklampfe wahlweise Lyrik von Paul Celan oder eben Sentenzen aus Weiss' monumentalem Roman-Essay über die »Ästhetik des Widerstandes« rezitierten.

Zeitweise gab es sogar eine regelrechte Peter-Weiss-Lesekreis-Bewegung, die sich besonders mit diesem, neben dem international erfolgreichen Bühnenstück »Marat/Sade« oft als »Hauptwerk« beschriebenen 1000-Seiten-Text auseinandersetzte. Harun Farocki hat über Weiss' Arbeit an dem Konvolut den Kurzfilm »Zur Ansicht: Peter Weiss« gedreht. Die minutiöse Unerbittlichkeit dieses organisiert ausufernden Textes traf in den 1980er Jahren einen Nerv. Speziell im Westdeutschland nach der »bleiernen Zeit« der Attentate und der Fahndungsplakate am Kindergarten.

Die »Ästhetik des Widerstandes« versuchte, aus den kollektiven Widerstandserfahrungen unter dem NS-Regime einen gewissermaßen nachträglichen Vereinigungsauftrag für die deutsche Arbeiterbewegung zu destillieren. Das war das Lebensthema der politischen Generation von Peter Weiss, und ihn, den Emigranten mit jüdischen Wurzeln, der im schwedischen Exil eine Art Äquidistanz zu den beiden deutschen Staaten entwickelte, führte es konsequenterweise immer wieder in die DDR: »Die Ermittlung«, Weiss' Stück über den Auschwitz-Prozess, wurde etwa in einer Ost-West-Simultanvorstellung uraufgeführt.

Auf beiden Seiten des Vorhangs gab es mal Zuspruch und mal Schelte für den unabhängigen Weiss: Obwohl er in der DDR wegen des Stücks »Trotzki im Exil« zeitweise höchst unerwünscht war und seine Texte im Osten bis 1987 nur in niedriger Dosierung erschienen, wurde ihm gegen Ende seines Lebens im Westen stets eine mangelnde Distanzierung vom »Stalinismus« vorgeworfen.

Zum Volkstheater Rostock unter seinem langjährigen Intendanten Hanns Anselm Perten hat Peter Weiss eine besondere Beziehung entwickelt; die dortige DDR-Uraufführung von »Marat/Sade« im Jahr 1965 erregte sogar internationales Aufsehen, eine Seltenheit für eines der Provinztheater der DDR. Auch an der Rostocker Universität hatte der stets kontroverse Weiss zu DDR-Zeiten viele Freunde, Rostock galt als das Zentrum der Auseinandersetzung mit seinem Werk. Vereinnahmen lassen hat sich Weiss freilich nie: Noch kurz vor seinem Tod lehnte er eine Marburger wie auch eine Rostocker Ehrendoktorwürde ab.

Nachdem das Werk des Sozialisten dann in den 1990er Jahren zunächst der Tabuisierung anheimzufallen schien, gehen jüngere Impulse zu einer Wiederentdeckung und Neubelebung des Werks von Peter Weiss wiederum von Rostock aus. Seit 2008 wird das ehemalige »Haus der Freundschaft« in der Doberaner Straße Nr. 21 unter seinem Namen als Non-Profit-Kulturstätte betrieben, das sich nicht nur des Namens bedient, sondern auch eine jährliche »Peter-Weiss-Woche« veranstaltet - zuletzt im vergangenen Herbst.

In diesem Jahr wurde die Veranstaltungswoche anlässlich des 30. Todestages des Autors am 10. Mai vorgezogen. Zum Auftakt wurde die Beziehung zwischen Rostock und Weiss von seinerzeit am Theater Beteiligten diskutiert, wozu das provisorische Theaterzelt einen passenden Rahmen abgab. Der Dienstagabend, als im Rahmen eines wissenschaftlichen Kolloquiums unter anderem mehrere Studierende über ihre Weiss-Forschungen referierten, machte dann deutlich, dass der Autor wieder präsent ist in der Hansestadt, wenn auch in offiziellerseits weiterhin eher niedriger Dosierung.

Am heutigen Abend stellt der Schrifsteller Jens Fietje Dwars ab 20 Uhr im Peter-Weiss-Haus vergleichende Mutmaßungen über Weiss und Uwe Johnson als literarische Außenseiter an. Und am Donnerstag, dem 30. Todestag des Künstlers, wird es formal lebendiger: Eine Gruppe junger, mehrfach ausgezeichneter »Poetry Slammer« setzt sich ab 20 Uhr ebenfalls im Peter-Weiss-Haus mit dem Text »Der Schatten des Körpers des Kutschers« auseinander. Die Veranstalter versprechen eine »junge und frische« Annäherung an Weiss' Werk.

Vielleicht erlebt Weiss ja tatsächlich noch einen zweiten poppigen Frühling. Das Ambiente im Peter-Weiss-Haus ist jedenfalls dem der damaligen Jugendzentren gar nicht so unähnlich.

Peter-Weiss-Haus, Doberaner Straße 21 in Rostock; Veranstaltungen jeweils ab 20 Uhr, Eintritt Mittwoch 5 Euro (erm. 3), Donnerstag 10 Euro (erm. 5)