nd-aktuell.de / 09.05.2012 / Politik / Seite 2

Flucht aus dem Fiskalkloster

Die Bundesregierung sieht sich wachsendem Widerstand in Deutschland wie in Europa gegenüber

Uwe Kalbe
Deutschland und Frankreich beanspruchen die Urheberschaft für den Fiskalpakt. Nun stellt das angedrohte Ausscheren von Paris aus der fiskalen Familie das ganze Verfahren in Frage. Zum Glück, meinen die Kritiker.

Es ist, als hätte ein Mönch die Abkehr vom Zölibat angekündigt. Das ganze Kloster ist in Aufruhr, weil keiner vorhersagen kann, wie es die restlichen Glaubensbrüder nun mit der auferlegten Keuschheit halten werden. Schließlich finden sich genug Gründe dagegen.

Rentenkürzungen, Einsparungen in der staatlichen Verwaltung, Streichung öffentlicher Ausgaben samt Privatisierung ihrer Träger - der Fiskalpakt mit seiner eingebauten Schuldenbremse, mit Sanktions- und Strafandrohungen bei Verstößen nötigt die Staaten zu strenger Enthaltsamkeit. Selbst aus dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kommen mittlerweile vorsichtige Äußerungen von Unwohlsein. Dessen Konjunkturchef Ferdinand Fichtner warnte die Bundesregierung im »Handelsblatt« davor, den Bogen im Umgang mit den Krisenländern zu überspannen. »Ein sozialer Ausgleich und gegebenenfalls eine maßvollere Konsolidierung der Staatsfinanzen könnte in diesem Sinne tatsächlich die langfristig bessere Lösung sein.« Und in einer Anhörung des Bundestages am Montag sprach sich der Wirtschaftsweise Peter Bofinger gegen zu starken Spardruck in den Ländern und für jenes Mittel der gemeinschaftlichen Kostenübernahme aus, das in Deutschland beargwöhnt wird - Eurobonds.

Die Griechen haben ihre Abneigung gegen das Klosterdasein deutlich gemacht - bei der Wahl jener Parteien ins neue Athener Parlament, die sie als Gegner des Fiskalpakts identifizierten. Das lässt die Berliner Regierung nun zumindest ein paar Vaterunser stammeln, immerhin gehörte der Hinweis auf die sozialen Folgen von Anfang an zu den Warnungen, die auch in Berlin nicht zu überhören waren. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) versucht es derzeit mit Zuckerbrot und Peitsche, wenn er den Griechen die Solidarität Deutschlands versichert, aber nur, wenn diese bei den vereinbarten Reformen bleiben.

Doch den größten Eindruck macht, wenn der bisherige Hauptverbündete in Paris vom Glauben abfällt. Die Ankündigung des Wahlsiegers Francois Hollande, den Vertrag nicht ratifizieren zu lassen, wenn diesem nicht Maßnahmen für Wachstum und Beschäftigung hinzugefügt würden, wirken in Berlin wie die Versuchung des Antichristen. Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel sich noch diplomatisch-optimistisch geäußert hatte, erteilte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Dienstag Hollande die erste Empfehlung zu Reue und Buße. »Die eingegangenen Verpflichtungen gelten unabhängig vom Ausgang der jeweiligen Wahlen in Mitgliedsstaaten«, gab Schäuble in der ARD zu verstehen. Er denke, dass es gelingen werde, den neuen Präsidenten davon zu überzeugen.

Doch dieser ist ja für seine Ankündigung gewählt worden, den Zölibat zu lockern. Der deutsche Weg war den Franzosen von Nikolas Sarkozy als Weg ins Himmelreich gepriesen worden, nur hat Frankreich nicht wie Deutschland von der Krise profitiert. Bei lahmender Konjunktur ist die Arbeitslosigkeit zuletzt auf ein Zwölfjahreshoch von fast zehn Prozent geklettert, die Staatsschuld ist auf 1,7 Billionen Euro gewachsen - beinahe 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Angesichts des Stimmungsumschwungs werden auch in Deutschland die Kritiker lauter. Die LINKE klagt gegen den Fiskalpakt, während die SPD ankündigte, diesem im Bundesrat am 25. Mai nicht zuzustimmen. Immerhin braucht die Bundesregierung für ihr Vorhaben eine Zweidrittelmehrheit - ohne Teile der Opposition geht es nicht. Und zwar im Bundestag wie in der Länderkammer. Der Bundestags-Finanzexperte der SPD Carsten Schneider sprach im Rundfunkinterview am Dienstag von all den Gelegenheiten, die die Koalition ungenutzt ließ, um mit seiner Partei übereinzukommen und den Zumutungen der Sparpolitik wenigstens einige Wachstumsimpulse und die Finanztransaktionssteuer hinzuzufügen - mehr will die Sozialdemokratie ja gar nicht. Die Chancen dafür sind jedenfalls gestiegen.