Ein Kunstprodukt wird 65

Rheinland-Pfalz wurde 1947 gegründet - damals war die Zukunft des neuen Landes höchst ungewiss

  • Jens Albes, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Rheinland-Pfalz wird 65 Jahre alt. Das Bindestrich-Bundesland sei gut zusammengewachsen, versichert die rot-grüne Landesregierung. Bei der Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg galt es noch als ein zusammengewürfeltes Kunstprodukt.

Mainz. Rheinland-Pfalz feiert an heute seinen 65. Geburtstag. Ein symbolträchtiges Datum für einen vorzeitigen Rückzug des bundesweit dienstältesten Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD)? Dieses Gerücht machte in der jüngsten Nachfolgedebatte die Runde. Doch Beck wischte es vom Tisch: Es habe sich nichts geändert, er wolle bei guter Gesundheit bis spätestens 2016 im Amt bleiben. Seine Zweckehe mit den Grünen bezeichnet er nach dem ersten gemeinsamen Jahr auf der Regierungsbank als positiv.

Arme Grenzregionen

Seit 1994 bereits ist der 63-jährige Beck im Amt. Als Rheinland-Pfalz 1947 entstand, war er noch gar nicht geboren. Damals erschien die Zukunft des neuen Bundeslandes höchst ungewiss. Hatte es doch die französische Besatzungsmacht aus wirtschaftlich schwachen Gebieten mit ganz unterschiedlichen Traditionen zusammengespannt. Noch 1975, also 30 Jahre nach Kriegsende, gab es Volksentscheide über Abspaltungen von Landesteilen - sie scheiterten. Anders nun beim 65. Geburtstag: Längst sei Rheinland-Pfalz erstaunlich gut zusammengewachsen, versichert die Landesregierung. »Aus dem ›Behelfsheim Rheinland-Pfalz‹ ist ein unverwechselbarer Teil Deutschlands geworden«, erklärte Beck am Mittwoch in Mainz.

Und so wird das Jubiläum gebührend gefeiert. Heute gedenkt das Bundesland der Abstimmung über seine Verfassung und seiner ersten Landtagswahl vor genau 65 Jahren. In der Hauptstadt Mainz steigt ein »Verfassungsfest«. Dabei würdigt die Landespolitik auch die 30-jährige Partnerschaft mit dem afrikanischen Ruanda und die 50-jährige Freundschaft mit dem französischen Burgund.

Zum Jubiläum erscheint in Mainz die erste umfassende Landesgeschichte. Das mehrbändige Werk mit insgesamt fast 2000 Seiten von rund 50 Autoren ist für ein breiteres Publikum gedacht. Der Mainzer Geschichtsprofessor Michael Kißener bewertet die Historie von Rheinland-Pfalz als eine Erfolgsgeschichte: »Heute befindet es sich bei der Wirtschaftstätigkeit im bundesweiten Vergleich im oberen Drittel.« Früher dagegen waren seine Gebiete als arme Grenzregionen ungeliebt. »Im 19. Jahrhundert drohten immer wieder Kriege. Kaum ein Unternehmer wollte daher dort investieren«, erklärt Kißener.

Dann sicherten jedoch die Römischen Verträge von 1957 als Basis der heutigen EU dem neuen Bundesland das wirtschaftliche Überleben. »Rheinland-Pfalz ist vom europäischen Grenzland zur europäischen Kernregion durchgestartet«, sagt Kißener. Abgesehen von der chemischen Industrie und der Automobilproduktion prägt heute die mittelständische Wirtschaft das Land. Diese besetzt auch manche Nische im Weltmarkt und beschert Rheinland-Pfalz zusammen mit der wenigen Großindustrie eine überdurchschnittliche Exportquote. Zudem produzieren die hiesigen Winzer zwei Drittel des deutschen Weines.

Einst CDU-Hochburg

Seiner Lage im Herzen Europas verdankte das Land noch ganz andere Einnahmen: Die Stationierung alliierter Streitkräfte und acht NATO-Flugplätze ließen gerade in strukturschwachen Regionen die Kassen klingeln. Der massive Einfluss der amerikanischen Lebensart löste allerdings anfangs auch Unbehagen aus. »Bauern und Arbeiter, Fromme und Unfromme, Kommunisten und Anhänger des Dritten Reiches, sie alle sind beteiligt am Goldrausch und fördern die Unzucht«, beklagte 1954 ein Geistlicher in Kaiserslautern, zitiert von Kißener in seinem Buch »Kleine Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz«.

Jahrzehnte später endete der Kalte Krieg, fiel der Eiserne Vorhang und folgte der Abzug der alliierten Truppen. Ein neues Wort machte die Runde: Konversion - die zivile Nutzung ehemaliger Militärflächen. Ein wichtiges Beispiel hierfür bleibt der allerdings defizitäre Hunsrück-Flughafen Hahn, ein früherer US-Fliegerhorst. »Die Konversion der 90er hat die Ausmaße eines Strukturwandels wie im Ruhrgebiet«, bilanziert Kißener. Zu Ende ist sie bis heute nicht.

Die Landespolitik hatte ihre große Wende 1991. Nach 45 Jahren eroberte die SPD erstmals die CDU-Hochburg Rheinland-Pfalz - und sitzt bis heute auf der Regierungsbank. Zu ihren größten künftigen Herausforderungen zählen Spardruck und Schuldenbremse sowie Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung. Und der kriselnde teure Nürburgring.

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