Heiße Steppe Burgenland

Safari am Neusiedlersee, ein Paradeiser-Paradies und ein weiter Horizont

  • Alexander Richter
  • Lesedauer: 5 Min.
Erich Stekovics
Erich Stekovics

Man muss nur wissen wo. Elke Schmelzer weiß das! Für die Biologin und Outdoor-Expertin ist der Seewinkel im Welterbe-Naturpark Neusiedler See das zweite Zuhause. Sie weiß, wo die ungarischen Steppenrinder gerade grasen, wo sich die Przewalski Urwildpferde verstecken, sie bremst für einen angefahrenen Feldhamster, und sie kennt den Ort, wo die Mangalitza-Mama gerade Ferkel wirft. Nur den sich selten zeigenden Goldschakal hat auch Elke nur durchs Fernglas oder auf Fotos gesehen.

Wir sind im Burgenland, dem östlichsten der neun österreichischen Bundesländer. Lang gestreckt, dünn besiedelt und flach, unendlich flach. Ein Traum von Natur, irgendwo in der Mitte zwischen Alpen und Puszta. Seltene Tiere, spezielle Pflanzen. Die pannonische Tiefebene, hier beginnt sie und reicht steppenartig weit nach Osteuropa hinein. Österreichs Werbehighlights wie Berge, Skifahren, die Donau und das pralle Leben im nahen Wien sucht man hier vergeblich. Das Burgenland, das einst zum ungarischen Teil der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn gehörte, lockt mit anderen Reizen. Die Hauptstadt ist ein heißer Kandidat für die 50 000 Eurofrage in jeder deutschen TV-Quizschau (Antwort: Eisenstadt). Gehaltvolle (Rot-)Weine kommen auf den Heurigentisch, was kein Wunder ist, klettern doch im Sommer die Temperaturen in einer der sonnenverwöhntesten Regionen Zentraleuropas locker auf 40 Grad und mehr.

In der äußersten Südostecke schreibt auch Europas großer und flacher Steppensee Geschichte: Das Schilf von den Ufern des Neusiedler Sees hat beste Qualität - mit ihm werden beispielsweise auch auf Sylt Häuser gedeckt. Der Seewinkel hier bedeutete bis 1989 so etwas wie das Ende der westlichen Welt: Grenze, Stacheldraht, dahinter Ungarn. Dann wurde hier im Sommer 1989 der Zaun zerschnitten - heute arbeiten viele Ungarn in Österreich. Im wohl ersten Lodgehotel Mitteleuropas, in St. Martins bei Frauenkirchen, haben über ein Drittel der Beschäftigten ihre Heimat im nahegelegenen Ungarn. Die Grenzlage hat der Landschaft im Winkel - ähnlich wie am einstigen Grenzstreifen zwischen BRD und DDR - gut getan: Reiher und Seeadler kreisen unter wolkenbetupftem Himmel, Ziehbrunnen in der Weite der Weiden geben hübsche Fotomotive ab. Dörfer wie Andau, Apetlon oder Wallern, die ziemlich vergessen wirken, schlummern hinter gekalkten Mauern, als sei hier irgendwann zu Lebzeiten von Kaiser und König die Uhr stehen geblieben. Der Seewinkel ist (und bleibt) ein exklusives Refugium für Rückzug und Entspannung - für Mensch und Tier.

Über 300 Vogelarten, unter anderem Silberreiher und Wiedehopf, und viele geflügelte Durchzügler finden auf den seichten, salzhaltigen Gewässern und auf den Hutweiden den Lebensraum, den sie benötigen. Auch viele seltene Tiere wie Wasserbüffel, Ziesel, die ungarische Wiesenotter oder die Urwildpferde sind hier zuhause und haben »Jobs« als natürliche Landschaftspfleger zu erfüllen.

Mit den Pferden ist eine dramatische Geschichte verbunden. Die Rasse, ursprünglich auf den Wüstensteppen der Mongolei zuhause, stand kurz vor der Ausrottung, bevor rund zwei Dutzend Überlebende eine neue Heimat auf den Steppen am Neusiedler See fanden. Hier sollen sie das Verwildern (wieder) lernen, um eines Tages zurück nach Asien gehen zu können. Das hört sich einfacher an, als es tatsächlich ist. Ein erster Heimkehrversuch, erzählt Biologin Elke, ging nicht wirklich glatt. Auf Krankheiten und Zeckenbisse dortiger Zeitgenossen waren die Pferde nicht vorbereitet.

Feriengäste haben im und um den einzigen Steppennationalpark Europas die Qual der Wahl. Man kann prima abhängen, die Seele baumeln lassen und in einer Thermaltherme ganz ruhig werden oder entschleunigen, wie das auf Neudeutsch so wortgewaltig heißt! Man kann sich auf zahlreichen Radtouren in flachem Gelände austoben. Man kann in den aufgehübschten Seestädtchen Illmitz, Rust, Neusiedl oder auch Podersdorf touristischen Allerweltsvergnügungen nachgehen - Sonne, Schnitzel, Souvenirs. Man kann in diversen Heurigen oder im Buschenschank dem (jungen) Wein und fettigen Würsten vom Steppenrind zusprechen. Man kann auch auf Safari gehen und - mit einer Prise Fantasie wie in der Serengeti - die Big Five des Burgenlandes in freier Wildbahn erleben. Vom Steppenrind bis zum Goldschakal.

Perfekt und geschäftsfördernd hat die Therme und Lodge St. Martins diese Angebote miteinander verknüpft. Die Ranger laden in der Woche mehrmals zu Seewinkel-Safaris ein, bei denen man zum Beispiel in der Kombination »Schwein und Wein« den Schweinezüchter und Weinbauern Michael Kreuss (72) kennenlernt, der so herrlich im Dialekt erzählen kann.

Reden wie ein Prediger kann auch »Mister Tomato«. Erich Stekovics (45) heißt der und hat sich vor jetzt zehn Jahren aufgemacht, bei Obst und Gemüse den oftmals verloren gegangenen Geschmack wieder zu finden. Der frühere Religionslehrer hatte Erfolg: In und um Frauenkirchen baut er zum Teil unbekannte und vergessene Tomatensorten an, die in Österreich bekanntlich »Paradeiser« heißen. An die 3000 Sorten aus aller Welt hat er auf Lager, an die 1000 davon sind immer draußen auf den Feldern oder im Treibhaus in der Erde. Die Geschmacksprobe lässt jede Tomate aus dem Supermarkt erblassen. Stekovics sagt, er bekämpfe jede Form von Turbowachstum und bittet ins Feld: Lecker zugleich schmeckt die peruanische Strauchtomate - bei ihr wachsen die kleinen roten Früchte auf der Erde unter dem Strauch, den man zur Ernte anheben muss.

90 Prozent aller Stekovics-Paradeiser wandern ins Glas - eingelegt, als Tartar, als Tapenade oder Chutney, als scharfer Tomatenpaprika. Ähnlich verfährt der Tomaten-Papst mit Paprika und Chili, die er auch schon einmal als Brotaufstrich mit Marillen (Aprikosen) kombiniert. Köstlich schmeckt auch seine »Madame Mieze Schindler«, eine Marmelade aus einer alten Erdbeersorte, die im Westen längst vergessen war, aber in sächsischen Gärten überlebt hat. Im Paradeiser-Paradies des Burgenlandes weiß Stekovics die Bemühungen ostdeutscher Botaniker um die Pflanze zu schätzen. Satte 300 Stück braucht er für ein Kilo der fruchtintensiven Marmelade - kein Wunder, dass die kaminrote »Mieze« unter den 70 verschiedenen Produkten, die der kleine Betrieb mit zehn Mitarbeitern anbietet, Starruhm genießt. Ordern kann man direkt vor Ort oder via Internet. Übrigens: Samen wird nicht verkauft, doch Pflanzen gibt es immer im Mai.

● Infos: Infos: www.burgenland.info; www.nationalpark-neusiedlersee-seewinkel.at; www.stekovics.at; www.stmartins.at;
● Anreise: Vom Wiener Airport erreicht man das Burgenland in gut 30 Autominuten.

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