»Grandhotel« für Flüchtlinge

Eine Augsburger Initiative versucht, eine Alternative zu Massenunterkünften zu schaffen

  • Florian Kapfer, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
In Augsburg arbeiten Diakonisches Werk und eine Gruppe Freiwilliger an einem außergewöhnlichen Projekt: Es geht um eine Verbindung vom Flüchtlingsheim, Künstlergemeinschaft und sozialem Treffpunkt.

Augsburg. In der Lobby des Augsburger »Grandhotels« herrscht schon Hochbetrieb, obwohl der offizielle Eröffnungstermin noch lange nicht feststeht. Zwei Helfer tragen einen Hochdruckreiniger herein, die Mitarbeiterin der benachbarten Sozialstation ist mit einer Praktikantin zu Besuch. In einem ehemaligen Altersheim inmitten des Domviertels soll etwas Außergewöhnliches entstehen: eine Mischung aus Flüchtlingsunterkunft und kreativer Begegnungsstätte. Zwischen 50 und 60 Asylbewerber sollen hier eines Tages leben, Tür an Tür mit rund 20 Künstlern und bis zu 40 vorübergehenden Gästen ohne Asyl.

Skeptische Nachbarn

Verfasser des Konzepts sind Augsburger Kunstschaffende um Mitinitiator Sebastian Kochs. Die etwa zehnköpfige Gruppe will die Idee ehrenamtlich und in Zusammenarbeit mit dem Diakonischen Werk umsetzen. Die Bewohner und Gäste sollen nicht nur nebeneinander leben. Die Flüchtlinge sollen sich und die Traditionen ihrer Heimatländer einbringen, sei es handwerklich, in der Gemeinschaftsküche oder bei einem Workshop-Angebot. Im Moment weiß noch niemand, wie gut die Kooperation zwischen Asylbewerbern, Künstlern, Nachbarn und Behörden funktionieren wird - und ob es überhaupt dazu kommt. Die Chancen stehen jedoch gut, dass in Augsburg noch im Laufe dieses Jahres ganz besondere Gäste Einzug halten. Die Flüchtlinge, die einmal das »Grandhotel« beziehen, könnten die ersten in Deutschland sein, die in einer Hotellobby empfangen werden. Das Projekt ist nicht zuletzt eine Reaktion auf die oft problematische Unterbringung von Flüchtlingen in großen Gemeinschaftsunterkünften. »Wir wollten schon länger weg von den Massenunterkünften mit ihrer Lagermentalität«, sagt der theologische Vorstand des Diakonischen Werks Augsburg, Fritz Graßmann.

Die Zahl der neu aufgenommenen Asylbewerber in Bayern ist seit einem Tiefstand im Jahr 2006 kontinuierlich gestiegen, nach Angaben des bayerischen Sozialministeriums von knapp 3000 auf mehr als 7000 im Jahr 2011. Davon entfielen auf den Regierungsbezirk Schwaben vergangenes Jahr rund 1100 Asylbewerber.

Mit dem »Grandhotel« betreten alle Beteiligten Neuland. Sie haben aber zumindest den Vorteil, nahezu überall Unterstützung zu bekommen. Von der Augsburger Stadtpolitik wird das Projekt fraktionsübergreifend geradezu überschwänglich begrüßt. Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) wollte sich vor Abschluss des Genehmigungsverfahrens allerdings noch nicht zum »Grandhotel« äußern.

Denn es gibt noch ein Problem: In dem Viertel ist eine »Gemeinschaftsunterkunft mit Ateliers und Gaststätte« nicht zulässig. Das Diakonische Werk hat daher eine »Bauliche Änderung und Umnutzung« beim Augsburger Bauordnungsamt beantragt. Dominik Hoppe, Jurist des Baureferats, sagt: »Wir verkennen nicht den innovativen, integrierenden Ansatz hinter dem beantragten Bauvorhaben und stehen daher dem Projekt aufgeschlossen gegenüber.«

Von ausschlaggebender Bedeutung sei, ob die Nachbarn das Projekt akzeptierten, erläutert Hoppe. Viele von ihnen waren zunächst skeptisch, sahen die Ruhe im beschaulichen Domviertel in Gefahr und befürchteten einen Wertverlust ihrer Grundstücke, Häuser und Wohnungen. Mitinitiator Kochs sagt: »Künstler und ›Asylanten‹, das sind zwei sehr, sehr rote Tücher. Das hat anfangs zu teilweise heftigen Reaktionen geführt.« Doch das Verhältnis ist besser geworden, Diakonie und »Hoteliers« haben gelernt, auf die Bedenken einzugehen - zu den ersten Infoveranstaltungen kamen bis zu 100 Anwohner.

Bewirtung und ein Park

»Es gibt eine kleine Gruppe, die ist mit Sicherheit überhaupt nicht zu gewinnen, aber manche haben auch gesagt: ›Vor 15 Jahren wäre ich der Erste gewesen, der bei euch mitmacht‹«, erzählt Graßmann von der Diakonie. Ein gutes Nachbarschaftsverhältnis ist wichtig und gewünscht, schließlich soll das »Grandhotel« auch ein Begegnungsort für die Bewohner des Viertels werden - mit Bewirtung, Veranstaltungsräumen, Werkstätten und einem kleinen Park.

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