Galgenfrist für Schlecker

Gläubigerausschuss verschob Entscheidung über Zukunft der Drogeriekette / Berggruen bekundet Interesse

  • Grit Gernhardt
  • Lesedauer: 4 Min.
Am Freitag sollten sich die Gläubiger des insolventen Drogerieunternehmens Schlecker äußern, ob sie die Reste der Kette an einen Investor verkaufen oder zerschlagen wollen. Die Entscheidung wurde jedoch auf den 1. Juni vertagt.

Für die verbliebenen 13 500 Schlecker-Mitarbeiter war am Freitag wieder einmal Warten angesagt. Die Entscheidung über Sanierung oder Zerschlagung des Unternehmens, und damit auch über ihre Arbeitsplätze, sollten andere treffen - in diesem Fall der Gläubigerausschuss der seit Ende Januar insolventen Drogeriekette.

Entschieden werden musste eigentlich - laut dem »Manager Magazin« macht Schlecker täglich sechsstellige Verluste; die Schulden belaufen sich fast auf eine Milliarde Euro. Seinen Spitzenplatz auf dem Drogeriemarkt hat die Kette längst verloren, die Konkurrenten dm und Rossmann sind weit vorbeigezogen. Die Gläubiger konnten sich jedoch noch nicht zu einer Entscheidung durchringen, sie gaben Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz eine Galgenfrist bis zum 1. Juni. Bis dahin sollten die zwei verbliebenen potenziellen Investoren für die Gläubiger akzeptable Angebote unterbreiten, sagte Geiwitz nach dem Treffen.

Dass der ursprüngliche Plan, das Unternehmen im Ganzen zu verkaufen, aufgehen wird, wagt kaum noch jemand zu hoffen. Am Freitag bestätigte die Nicolas Berggruen Holding, dass der deutsch-amerikanische Investor und Karstadt-Retter Berggruen mit Geiwitz gesprochen habe. Wenn sein Konzept die Gläubiger überzeugt, könnte er die Zerschlagung noch verhindern. Allerdings soll der 50-Jährige laut Medienberichten nur 100 bis 150 Millionen Euro für die Kette inklusive aller Immobilien geboten haben.

Das zeigt, als wie riskant ein Kauf angesehen wird. Das Emirat Katar, lange als Interessent im Gespräch, zog sein Angebot inzwischen zurück. Begründung: Man investiere nicht in Risikogeschäfte. Auch der umstrittene osteuropäische Investor Penta und der deutsche Unternehmensberater Droege sind nicht mehr interessiert.

Potenzielle Käufer müssen zudem laut Geiwitz mit hohen Zusatzkosten rechnen: Von Ex-Schlecker-Beschäftigten wurden bisher über 4000 Kündigungsschutzklagen eingereicht. Angesichts der knapp 10 000 Frauen und Männer, die ihren Job verloren, könnten noch hunderte hinzukommen. Hätten sie Erfolg, könnte das rund 100 Millionen Euro kosten, so Geiwitz.

Anscheinend ließen sich die Hauptgläubiger von Berggruens Angebot nicht überzeugen. Die Summe ist auch wenig attraktiv: So müsste Hauptgläubiger Euler Hermes auf einen Großteil seiner Forderungen verzichten: Allein der Warenbestand der Drogerie, der an den Kreditversicherer verpfändet ist, ist rund 300 Millionen Euro wert. Auch die anderen Großgläubiger, die Lieferantengruppe Markant Finanz AG und die Agentur für Arbeit in Ulm sind von einer Sanierung bisher nicht überzeugt.

Der Gläubigerausschuss, an dem ein Gewerkschafts- und ein Arbeitnehmervertreter teilnahmen, beriet am Freitag auch über eine Zerschlagung, die weitere Filialschließungen und Entlassungen zur Folge hätte. In diesem Fall müsste Geiwitz alle Vermögenswerte wie Immobilien, Filialeinrichtungen oder Fahrzeuge verkaufen, um wenigstens einen Teil der Forderungen zu begleichen. Am 5. Juni tagt die Gesamtgläubigerversammlung, die die Entscheidungen des Ausschusses endgültig absegnen muss.

Unterdessen kämpft die Gewerkschaft ver.di weiter um jeden Arbeitsplatz. Über das Angebot Berggruens freue man sich, sagte ver.di-Sprecherin Christiane Scheller am Freitag. Man sei offen für Investoren, die den Erhalt der Jobs im Blick hätten. Die Forderung des Insolvenzverwalters, auf 15 Prozent Lohn zu verzichten, um Kosten zu sparen, lehnt ver.di allerdings ab. Stattdessen bot die Gewerkschaft 10,5 Prozent an, die Abstimmung darüber soll nächste Woche erfolgen.

Chronik


20. Januar 2012: Vor allem die geplatzte Finanzierung von Lieferungen von Markant führt zur Zahlungsunfähigkeit.

23. Januar: Schlecker meldet Insolvenz an.

28. Januar: Baden-Württemberg hält eine Landesbürgschaft für möglich.

29. Februar: Der vorläufige Insolvenzverwalter Geiwitz will rund 11 750 Jobs streichen und bis zu 2400 Filialen schließen.

2. März: Bei IhrPlatz sollen 908 von 5350 Stellen und 142 von 612 Märkten wegfallen.

28. März: Über 10 000 Beschäftigte werden gekündigt, 2200 Filialen schließen.

29. März: Das Insolvenzverfahren wird eröffnet, die Transfergesellschaft scheitert.

2. Mai: Investor kauft die 145 Filialen in Tschechien.

4. Mai: 3850 Ex-Beschäftigte haben bereits Klage eingereicht.

10. Mai: Der Münchner Investor Dubag will die Schlecker-Tochter IhrPlatz übernehmen.

24. Mai: Berggruen-Holdings bekundet Interesse. (dpa/nd
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