Telefonanrufe bei der Terror-Frau

Erneut Erklärungsbedarf: Als das Nazi-Mörder-Netzwerk aufflog, riefen Sachsens Sicherheitsbehörden pausenlos bei Beate Zschäpe an

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Die rechtsextremistische NSU-Zelle soll zehn Menschen - neun Migranten und eine Polizistin - umgebracht haben ohne dass die Sicherheitsbehörden ihr auf die Spur gekommen wären. Je länger die Ermittlungen andauern, umso fragwürdiger werden scheinbar gesicherte Erkenntnisse.

Am 4. November 2011 hatten zwei maskierte Männer in Eisenach eine Sparkasse überfallen. Wenige Stunden nach dem Überfall wurde in Eisenach-Stregda ein verdächtiges Wohnmobil entdeckt. Darin die mutmaßlichen Räuber, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt - tot.

Am selben Tag, 180 Kilometer östlich davon in Zwickau. Um 15.37 Uhr fliegt ein Haus in der Frühlingsstraße 26 in die Luft. Beate Zschäpe, die Komplizin von Böhnhardt und Mundlos, soll versucht haben, so belastendes Material in dem gemeinsamen Quartier der »Zwickauer Zelle« des Nationalsozialistischen Widerstandes (NSU) zu vernichten. Zschäpe ist danach vier Tage quer durch Deutschland unterwegs bevor sie sich der Polizei stellt.

Nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe war seit ihrem Untertauchen 1998 gefahndet worden. Vergebens. Angeblich fanden die Behörden keine Spur, die zu dem Trio führte. Neue Fakten verstärken den Zweifel an dieser offiziellen These. Hinweise gibt Zschäpes Handy. Für den 4. November sind insgesamt 72 Verbindungen registriert. Dies ergab eine so genannte Funkzellenabfrage.

Unmittelbar bevor Zschäpe die Wohnung zerstörte, rief sie auf einem Handy an, das einer Frau aus Henningsdorf gehörte. Dessen damaliger Standort war in der Zwickauer Moseler Straße, rund zwei Kilometer von der Frühlingsstraße 26 entfernt. Über die Besitzerin, so sagen die Ermittler, liegen keine Erkenntnisse vor. Wohl aber über den Mann, dessen Handy unmittelbar danach an derselben Adresse läutete. Der heißt André Eminger und sitzt derzeit als Unterstützer des Terror-Trios in Untersuchungshaft. Er soll unter anderem das Bekennervideo für die NSU-Mörderbande produziert haben. Er war es auch, der die gesuchte Zschäpe aus Zwickau wegbrachte. Was besprach Zschäpe mit Eminger? Meldete sie dem »Kameraden«, dass die Lunte brannte? Die letzte Verbindung zwischen den beiden Handys ist um 15.34 Uhr registriert.

Eine knappe Stunde später versuchte jemand per Handyanruf Kontakt mit Beate Zschäpe aufzunehmen. Die Nummer des Anrufers ist auf das Sächsische Staatsministerium des Innern, Wilhelm-Buck-Straße 2 registriert. Um 17.50 Uhr versuchte die Polizeidirektion Südwestsachsen aus Zwickau das von Zschäpe benutzte Handy zu erreichen. Ab 18.12 Uhr versuchte wieder jemand mit einer Nummer aus dem sächsischen Innenministerium zu Zschäpe durchzudringen, die da bereits auf der Flucht war. 18 (erfolglose) Anrufe in rascher Folge sind registriert. 18.13 Uhr wählte wieder jemand aus dem Lagezentrum der Polizeidirektion Südwestsachsen die Zschäpe-Nummer.

Das alles ist schon seltsam genug, denn Beate Zschäpe lebte unter falschem Namen. Sie trat als »Susann Eminger« oder »Lisa« beziehungsweise »Susann Dienelt« auf. Wer aus welcher sächsischen Innenbehörde wollte also wen sprechen - und vor allem warum? Kannte womöglich doch jemand aus einer Innenbehörde die richtige Identität der Rechtsextremen?

Die Mutmaßung liegt nahe. Denn es kommt noch dicker. Sachsens Innenbehörden müssen erklären, wieso die Polizei am 4. November bereits um 12. 11 Uhr auf Zschäpes Handy anrief und vermutlich der Mobilbox etwas erzählte. Die offizielle Version von Böhnhardts und Mundlos' »Selbsttötung« besagt, dass sich zwei Polizisten gegen 11:30 Uhr dem verdächtigen Wohnmobil näherten, zwei knallartige Geräusche vernahmen und in Deckung gingen. Die Eisenacher Feuerwehr musste kommen, das brennende Fahrzeug löschen. Erst danach wurden die zwei Toten aufgefunden. Das passt so gar nicht mit dem Anruf um 12.11 Uhr zusammen.

Dafür passen andere Handyverbindungen, die von Thüringer und Brandenburger Ermittlern aufzuklären sind, umso unheilvoller zusammen. Das Erfurter Landeskriminalamt hat 450 Seiten Abhörprotokolle, den sächsischen Blood&Honour-Chef Jan Botho Werner betreffend. Dabei finden sich auch Kontakte zu einem Handy, das auf das Potsdamer Innenministerium zugelassen ist. Diese Spur führt vermutlich zum -Blood&Honour-Gangster Carsten Szczepanski, intern bekannt als V-Mann »Piato«. Es geht um nicht weniger als die Beschaffung von Waffen.

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