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Warten auf den Oligarchen

Bernd Stange über die Chancen der Ukraine in der Gruppe D und das Konfliktfeld Sport contra Politik

  • Lesedauer: 4 Min.
Bernd Stange ist zum Weltenbummler geworden. Der ehemalige DDR-Nationaltrainer (1983-1988) betreute Vereine in der Ukraine, Australien und Zypern sowie die Nationalteams Iraks, Omans und zuletzt das aus Belarus. Zurzeit bildet der 64-Jährige im englisch- und russischsprachigen Raum Trainer aus.

nd: Herr Stange, wie verbringen Sie die Europameisterschaft?
Stange: Ich bin viel unterwegs, vor allem in der Ukraine. Ich arbeite für kleinere Zeitungen und einen Fernsehsender aus Belarus.

Den ukrainischen Fußball kennen Sie zudem noch sehr gut aus Ihrer Zeit als Vereinstrainer in Kiew und Dnepropetrowsk. Das Nationalteam ist mit dem Sieg gegen Schweden gut in die EM gestartet. Wie sehen Sie die Chancen der Ukraine im weiteren Turnier?
Das 2:1 gegen Schweden war eine Überraschung. Volksheld »Schewa« Schewtschenko hat mit seinen Toren für eine große Euphorie gesorgt. Trotzdem zweifle ich an der Qualität dieser Mannschaft und befürchte, dass nach der Vorrunde schon wieder Schluss ist. Aber manchmal kommt es anders, als man denkt. Vielleicht helfen heute gegen Frankreich auch wieder der Heimvorteil, die Begeisterung und der Fanatismus der Anhänger.

Der Vereinsfußball in der Ukraine wird von Oligarchen bestimmt. Was halten Sie davon?
Dass die führenden Mannschaften von Oligarchen beherrscht werden, ist für die Nationalmannschaft überhaupt nicht gut. Die Teams aus Donezk, Kiew oder Charkow sind voll besetzt mit ausländischen Spielern, vor allem aus Brasilien und Argentinien. Die Chancen für einheimische Talente sind gering. Den Fans ist es letztlich egal, die wollen gewinnen, die wollen in der Europa League und in der Champions League weit kommen. Das geht so lange gut, bis sich ein Oligarch zurückzieht. Dann gibt es kein Geld mehr, sondern nur noch Probleme. Es ist hier halt nicht so geordnet wie in Deutschland. Aber nicht nur in der Ukraine, auch in Belarus, Russland und Kasachstan ist es weit verbreitet, noch schlimmer in Aserbaidshan.

Im Vorfeld der EM bezog sich die Berichterstattung gerade im Fall der Ukraine sehr auf politische Themen. Die Überlegungen gingen bis hin zu einem Boykott. Was sagen Sie dazu?
Es ist eine fürchterliche Tendenz, dass die Politik den Sport benutzt, um Dinge erzwingen zu wollen, die sie eigentlich zu klären hat. Für mich ist das fast ein lächerlicher Versuch, der immer schiefgeht. Boykotts sind das Sinnloseste, was ich in meiner langen Karriere erlebt habe. Wir wählen doch eigentlich die Politiker, damit sie hinfahren und auf politischer Ebene sagen, was ihnen nicht gefällt. Nicht nur in der Ukraine, sondern auch in anderen Ländern, wo gegen Menschenrechte verstoßen wird. Und auch nicht immer nur dann, wenn der populäre Fußball auf dem Plan steht.

Den Vorwurf gibt es auch andersherum, dass die ukrainische Politik den Sport benutzt, um ein anderes Bild des Landes zu zeigen.
Das macht jedes Land. Südafrika hat mit der WM 2010 in der Außendarstellung auch Probleme überspielt, die eigentlich vorhanden sind und weiterhin bestehen.

Wie erleben Sie denn den Alltag in der Ukraine?
Es ist immer noch ein Stückchen Sowjetunion, viel staatliche Regulierung. Es ist eine schwierige Phase, das Land will sich schon nach vorn bewegen, aber die Übergangszeit dauert länger als beispielsweise damals in der DDR.

In den zwei Jahren bis 2004 als Trainer der irakischen Nationalelf standen Sie auch im Konfliktfeld zwischen Sport und Politik.
Ja, ich habe da zuerst auch viel auf die Schnauze bekommen. Ich habe die Mannschaft vor dem Krieg trainiert, drei oder vier Monate, da war Saddam Hussein noch da. Während des Krieges bin ich heim und danach wieder zurückgekommen. Dann habe ich die gleiche Mannschaft trainiert und dafür alle Preise bekommen, die es irgendwo gibt: für Völkerrecht von der FIFA, Trainer des Jahres, Presidential Award. Ich habe die gleiche Arbeit gemacht. Nur vorher war Saddam Hussein da und dann Paul Bremer, der Gouverneur von Bagdad. So verrückt ist die Welt.

Werden Sie noch mal als Trainer arbeiten?
Das schließe ich nicht aus. Aber ich bin mittlerweile auch sehr wählerisch. Also Nationaltrainer von Syrien werde ich nicht mehr. Es müsste wahrscheinlich einer dieser Oligarchen anrufen, damit ich meinen Arsch noch mal aus meinem Garten bewege.

Gespräch: Alexander Ludewig

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