Nur im Ausnahmefall!

  • Deniz Yücel
  • Lesedauer: 3 Min.

Nie und nimmer darf man als Linker für Deutschland sein. Das verbietet sich schon deshalb, weil man als Linker nur im Ausnahmefall etwas gut finden darf - Dinge, die irgendwann früher waren (Oktoberrevolution, 68, Karl & Rosa), irgendwo in der Walachei passieren (Castro, Chávez, Obama) oder irgendwann später sein werden (Sozialismus, Kommunismus, saubere Umwelt). Aber niemals darf man etwas gut finden, das im Hier und Heute passiert.

Der Linken gebührt der historische Verdienst, die Nörgelei des kleinen Mannes zur Kritik veredelt zu haben. Kein Wunder, dass die Kombination der Eigenschaften links und deutsch ganze Wissenschaften hervorgebracht hat: die Nörgelei der Politischen Ökonomie (Marx/Engels), die Nörgelnde Theorie (Adorno/Horkheimer) und allerlei kritische Dinge mehr.

Linkssein heißt also Scheißefinden. Und Scheißefinden muss man als echter Linker alles, das die Volksmassen einlullt und dazu führt, dass die Völker die Signale ständig überhören. Scheißefinden muss man die Kommerzveranstaltung namens Profifußball, das Opium des Volkes unserer Tage, die gerade dazu führt, dass die Volksmassen sich für die Europameisterschaft, aber nicht für die Eurokrise interessieren. Panem et circenses (Brot und Zirkusspiele) statt Aufruhr und Revolution. Scheißefinden muss man Länderspiele, die bewirken, dass die Proletarier aller Länder sich gegenseitig blutgrätschen anstatt sich zu vereinigen. Scheißefinden muss man den Männerfußball, die letzte Bastion eines archaischen Männlichkeitskultes.

Ganz besonders Scheißefinden aber muss man den deutschen Fußball.

Dazu brauchte es früher nicht viel. Die Hackfressen, die regelmäßig im reaktionär-preußischen Schwarz-Weiß aufs Feld liefen, waren Grund genug, den Deutschen Pest, Cholera und Vorrundenaus an den Hals zu wünschen. Denn man wusste, dass deutsche Siege nichts Gutes (also Linkes) verheißen: die Weltmeisterschaft 1954 ein revanchistischer Triumph (lieber einen Weltkrieg verlieren als eine Weltmeisterschaft), 1974 ein Sieg des BRD-Imperialismus über die friedliebende DDR, 1990 der Vorlauf für die dritte Halbzeit, die in Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda und anderen ostzonalen Stätten des Grauens ausgetragen wurde.

Die Europameisterschaft 1996 symbolisierte die neuen deutschen Herrschaftsansprüche in Europa (Jugoslawien!), die EM 1980 leitete die neoliberale Wende der Kohl-Ära ein. Und die EM 1972 mit der bislang angeblich besten, also »undeutschesten« Mannschaft, stand bestimmt auch für etwas Schlimmes. (Ach ja, die Sozialdemokratisierung des revolutionären Aufbruchs von 68, Netzer statt Dutschke, Brandt statt Che).

Doch auch die Nationalmannschaft unter Klinsmann/Löw ist nicht besser. Diese Ansammlung aalglatter, karrieristischer Yuppies, die mit 16 ihren ersten PR-Berater bekommen und mit 18 ihren ersten Werbevertrag, sind der Inbegriff des Schröder-Fischer-Merkel-Deutschlands, den neoliberalen Brutalo-Casino-Kapitalismus mit politisch korrektem Antlitz. Jeder Schweinsteiger-Pass Propaganda für Hartz IV, jedes Gomez-Tor Rechtfertigung sinkender Reallöhne, jeder von Neuer gehaltener Ball Ausdruck des deutschen Spardiktats über Europa. Mindestens.

Sogar Ausländer dürfen in dieser »National«mannschaft mitspielen, so lange sie der deutschen Sache nutzen. (Und die gewissenlosen Fußballlegionäre Özil, Khedira und Podolski, auch das wird man wohl noch sagen dürfen, spielen nur für sich, nicht für Deutschland!)

Mit den Siegen in Lwow und Charkow, der Stätte des letzten bedeutenden Sieges einer deutschen Mannschaft in Osteuropa, will die Reaktion einen Schlussstrich unter die deutsche Geschichte ziehen. »42, 43, 2012« - so stimmen wir alle mit den Wehrsportfreunden Stiller ein? Nicht mit uns! Eine Linke, die mitmacht statt miesmacht, schafft sich selbst ab.

Nein, man darf als deutscher Linker nicht für Schlandland sein. Was aber darf man? So tun, als sei man nicht Deutscher, sondern Engländer, Spanier oder sonst was. Und man darf jahraus, jahrein dieselben schlecht gelaunten Debatten führen. Dafür ist man ja Linker.

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