nd-aktuell.de / 18.06.2012 / Politik / Seite 3

Gegen Krise, Spaltung - und schlechtes Wetter

Das Fest der Linken, zugleich »nd«-Pressefest, lockte am Wochenende Tausende in die Berliner Kulturbrauerei

Christin Odoj und Ralf Hutter
Hunderte Zuhörer und -schauer hatten sich zur Diskussionsrunde mit den neuen Parteivorsitzenden der LINKEN eingefunden.
Hunderte Zuhörer und -schauer hatten sich zur Diskussionsrunde mit den neuen Parteivorsitzenden der LINKEN eingefunden.

Vorbei an den über den Boden verstreuten Regenschirmen war es am Samstagmittag schwer, im großen »Palais« der Kulturbrauerei im Berliner Prenzlauer Berg noch einen Platz zu finden. Das Wetter hätte für schlechte Stimmung sorgen können, doch der amüsante Auftakt des Tagesprogramms ließ den Regen vergessen: Gregor Gysi, Fraktionschef der LINKEN im Bundestag, lud auf der Roten Couch Übersetzerlegende und Schriftsteller Harry Rowohlt zum Gespräch über dessen Kindheit, den FC St.Pauli und über die Frage, wie das alles mit Rowohlts »Lindenstraße«-Engagement zusammenpasse. Der Festsaal war kurz vor zwölf bis auf den letzten Platz gefüllt, selbst auf den unbequemeren Sitzmöglichkeiten wurde es eng. »Na ja, Treppe ist doch auch schön«, bemerkte ein älterer Herr. Sein Regenponcho auf dem Geländer tropfte knapp eine Stunde lang vor sich hin. In dieser Zeit unterhielten Rowohlt und Gysi, ein eingespieltes Team, mit amüsanten Anekdoten über Rowohlts eher unterkühltes Verhältnis zu seinem Vater, dem Verleger Ernst Rowohlt. Seinen 49-prozentigen Anteil am Verlag habe er nach dem Tod des Vaters gerne an Georg von Holtzbrinck veräußert. Mit dem Erlös sei es ihm auch heute noch möglich, »den Arsch an die Wand« zu kriegen, wie er es formulierte. Harry Rowohlt hatte die Lacher auf seiner Seite.

Das Zwiegespräch galt als erster von »durchgehenden Höhepunkten« der dreitätigen Festveranstaltung, wie »nd«-Chefredakteur Jürgen Reents im Vorfeld kommentierte. Das Programm bot knapp 20 Gesprächsrunden, Lesungen und Vorträgen, in denen sich Abgeordnete, Aktivisten, Autoren und Journalisten mit der Bedeutung linker Politik in Zeiten von Bankenkrise und Nazi-Terror auseinandersetzten.

Großer Andrang herrschte auch beim »nd«-Gespräch mit den neu gewählten LINKE-Bundesvorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger. Beide betonten vor knapp 300 Zuschauern, dass sie froh seien, sich nach dem nervenaufreibenden Göttinger Parteitag endlich auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren zu können. Besonders wichtig sei nun das Zuhören, das »Horchen am Puls der Partei«. »Alleine sind wir völlig überfordert«, erklärte Riexinger mit Blick zu seiner Ko-Vorsitzenden.

Vor allem die von der Presse herbeigeschriebene Hysterie um eine Ost-West-Spaltung müsse endlich ein Ende finden. Bereits bei seinen Besuchen bei den Landesfraktionen von Brandenburg und Berlin habe Riexinger durchaus entsprechendes Potenzial und Willen gespürt, erzählte der 56-Jährige im Gespräch mit »nd«-Chefredakteur Jürgen Reents und dessen Stellvertreterin Gabriele Oertel. Es müsse nun einzig und allein darum gehen, sich als »Exklusivkraft« in der Diskussion um ein soziales Europa zu etablieren. Riexinger setzt dabei vor allem auf den Schulterschluss mit sozialen Bewegungen, etwa »Occupy«, wie er mehrfach betonte. Die Zeit der Personaldiskussionen jedenfalls möge nun vorbei sein, appellierten die beiden Vorsitzenden.

Trotz dunkler Wolken wagte sich das Podium zum Thema »Europa kriegt die Krise - Die deutsche Linke zwischen Privileg und Protest« am späten Samstagnachmittag auf den Platz vor dem Soda-Club. Mario Candeias von der Rosa-Luxemburg-Stiftung diskutierte mit der LINKE- und Bundestagsfraktionsvizevorsitzenden Sahra Wagenknecht, Bernd Riexinger, Christoph Kleine (der für »Blockupy Frankfurt« sprach), dem spanischen Aktivisten Joaquim Cornelles und live zugeschalteten griechischen und italienischen Aktivisten über den Umgang der Linken mit der Krise. Die 200 Zuschauer durften gleich zu Beginn ihre Meinung zum Fiskalpakt und den Problemen der linken Bewegungen sowie der Linkspartei sagen. Sogleich konstatierte ein Mann mittleren Alters: »Der Fiskalpakt ist etwas, wogegen wir uns unbedingt wehren sollten!« - Applaus im Publikum.

Nach dem miesen Wetter am Samstag herrschte gestern schönster Sonnenschein. Auf einer Bühne traten Ulf und Zwulf mit einem kleinen Kinderchor auf, wobei die gesungenen und auch gestisch umgesetzten Texte kindgerecht zum interaktiven Mitmachen einluden. Im Publikum waren Alt und Jung gemischt. Zwischendurch zogen die clownesk gekleideten und geschminkten Mitglieder des Theaters Rambazamba lärmend über das Gelände und riefen den unmittelbar bevorstehenden Beginn ihres »Open-Air-Stückes« aus.

»Open air« war es dank des Wetters gut auszuhalten. Die von Samstag auf Sonntag Mittag verschobene Deutschlandpremiere des im Laika-Verlag erschienenen Dokumentarfilms »Plowing the time«, in dem es um die aktuelle Situation in Griechenland geht, lockte einige Besucher an. Die LINKE-Bundestagsabgeordneten Sabine Leidig und Kirsten Tackmann stellten ihr »rotes Projekt für den sozialökologischen Umbau« - »Plan B« - vor. Auf einer Internetplattform bitten sie um breite Mitwirkung bei der Findung von Ideen zur konkreten Gestaltung des gesellschaftlichen Umbaus.

Draußen lockten aber nicht nur die Sonne und die vielen Stände etwa mit arabischem, spanischem und italienischem Köstlichkeiten sowie südamerikanischen Getränken. Auch musikalisch kamen die Gäste auf ihre Kosten. Der Musiker Tino Eisbrenner etwa gab ein langes Konzert. Vorher hatte er im Gespräch mit der Bundestagsabgeordneten Dagmar Enkelmann über das Dasein als Musiker in der DDR und der BRD gesprochen. In der DDR etwa habe es vorgeschriebene Gagen gegeben - rund 460 Mark für seine Band pro Auftritt.

Auf der anderen großen Bühne in der Kulturbrauerei unterhielten in der gewohnten hohen Qualität Andrej Hermlin und sein Swing Dance Orchestra. Über ein Dutzend Mal war diese beliebte Gruppe schon bei »nd«-Pressefesten zu Gast - und ihr Auftritt wurde auch in diesem Jahr wieder zum Publikumsmagnet.

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