Anstoß

Marginalien zur Fußball-EM Heute: HANS-DIETER SCHÜTT

  • Lesedauer: 3 Min.

Viel ist von Umbruch die Rede, wenn der Zusammenbruch unwiderruflich wurde. Dann stehen sie am Spielfeldrand wie Denkmäler, die mit dem traurigsten Auftrag betreut wurden: sich selber abzutragen. Früher hießen sie Scolari, Brückner, Beenhakker, jetzt Trapattoni, Blochin, der dicke Advocaat. Um nur einige zu nennen. In solchen letzten Momenten ihrer europaweiten Anwesenheit bei der EM sahen diese Trainer alle gleich alt aus, auch wenn sie jünger sind als ihr momentanes Schicksal. Immer sind solche Turniere auch Feste der letzten Großen, der großen Letzten. Derjenigen, die irgendwie noch aus dem anderen Jahrhundert als dem 21. zu kommen scheinen, lauter Zwanziger sozusagen, nur nicht so leer im Gesicht wie der Ex-DFB-Präsident (der nunmehrige hat auch keins).

Stehen diese Erfahrenen, diese Traditionalisten, diese Gefurchten in ihrer fast entrückten Eigenart am Spielfeldrand, dann sieht man ihren Mienen das ewige Los der Klassiker an: Da lehrt man die Menschen beständig den Weitblick, also den Blick hoch und gezielt über den Ball hinweg, nichts als den Weitblick - und muss zur Strafe ohnmächtig und vor allem ständig zuschauen, wie die Schüler dann über ihre eigenen oder anderer Leute Füße stolpern. Blochin trat eine Mineralflasche ins Gras. Trapattoni schlug mal den Jackenkragen hoch, als wolle er ein irreal hochgewachsener, auf jeden Fall durchtriebener Lino Ventura werden. Und Advocaat sagte auf der Pressekonferenz: »Die Zeit vergeht nicht, ich fürchte im Moment, sie rast an mir vorbei.« Man kann es auch anders sagen: Niemand überschreitet seinen Zenit freiwillig.

Jener von den Legendären, der vom Abschiednehmenmüssen bislang verschont wurde, ist Spaniens Genial-Großvater Vicente del Bosque. Er sieht doch aus wie ein Großvater, oder? Dabei ist er erst knapp über sechzig. Aber er blickt so ruhig und so weise wie jemand, der einer ganzen Menschheit genau erklären kann, was Glück ist: Er würde wahrscheinlich gar nichts erklären, er würde einem Kind einen Ball zuwerfen, damit es spielen kann. Punkt. Manchmal spielen seine Spanier, als seien sie Kinder, und jeder hätte seinen eigenen Ball; zehn laufende, rollende, springende, fliegende Bälle einfangen, das kann keine gegnerische Mannschaft, und so gewinnt Spanien. Bis jetzt.

Del Bosque meint, er sei auf der »Suche nach dem perfekten Fußball«. Wann findet der statt? Nur dann, wenn man zugleich auch der Trainer des Gegners wäre, wenn man alle Bewegungen auf dem Platz auf-

einander abstimmte und die Torfolge ebenfalls exakt mitinszenierte. Unmöglich. Aber den Traum vom perfekten Fußball gibt es trotzdem: Die Beine denken für sich selbst, der Fuß schießt von ganz allein, die Augen sehen die Tore, bevor sie fallen. Ronaldo, Arschawin, Ibrahimovic, Iniesta, Ribbery. Zum Beispiel. Warum einem nicht sofort auch ein Deutscher einfällt? Nur keine Hektik, sie haben noch Zeit bis zum Finale.

Vielleicht treffen wir dann auf Spanien. Wo del Bosque soeben »Revolutionär« genannt wurde. Gute Voraussetzung, um gegen uns Deutsche zu verlieren. Revolutionäre haben bei uns selten eine Chance.

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