Wie ein Cowboy durch den Wilden Westen

Im Sattel durch den Waterton Glacier International Peace Park in der kanadischen Provinz Alberta

  • Marc Vorsatz
  • Lesedauer: 5 Min.

Ang Lee ist schuld. Denn ohne den taiwanesischen Filmemacher hätten sich unsere Wege nie gekreuzt. Nun sitzen wir also gemeinsam hier am Lagerfeuer. Ein kleiner bunt gemixter Haufen aus Ljubljana, San Francisco und Berlin. Nicht zu vergessen unser Gastgeber, Cowboy Dan Nelson aus Alberta in Kanada, aus dem Wilden Westen also.

Ganz ohne Lasso, aber mit viel Feingefühl hatte der Oscar-Preisträger aus dem Fernen Osten die Herzen der Kinobesucher millionenfach eingefangen. Und uns ganz nebenbei gezeigt, wie atemberaubend die Rocky Mountains im Süden Albertas sind. Hier zeigen sie sich von ihrer wohl schönsten und wildesten Seite - sie wurden die perfekte Kulisse für sein episches Liebesdrama »Brokeback Mountain«.

Dan Nelson hat den Western nie gesehen. Ein schwuler Cowboy, oder gar zwei? Damit kann der Rancher und Mormone nicht wirklich etwas anfangen. In der Großstadt, okay. Aber hier draußen? Dan verkörpert eher das klassische Klischee: stahlharter Blick, kantiges Kinn, von Wind und Wetter zerfurchtes Gesicht. Und als er so vorhin der untergehenden Sonne entgegen ritt auf seinem braunen Mustang, da hat er uns schon sehr an den legendären Marlboro-Mann erinnert. An den einsamen Helden, der Niemanden braucht - außer sein Pferd natürlich. Jetzt am Lagerfeuer erzählt uns Dan von den Geschichten, die der Wilde Westen noch immer schreibt.

Bevor die ersten Sonnenstrahlen über die Berge klettern, haut Dan schon ordentlich Speck, unzählige Eier und Weiße Bohnen in eine gusseiserne Riesenpfanne. Schließlich wollen wir heute bis fast an die US-amerikanische Grenze Richtung Chief Mountain reiten. Ein ordentlicher Tagesritt über Stock und Stein. Viel anstrengender als am gestrigen ersten Tag, als es erst einmal über blühende Bergwiesen ging und Ross und Reiter Zeit zum Beschnuppern hatten. Die schönste Jahreszeit für Ausritte ist der kurze kanadische Herbst, der den staubig-heißen Sommer endgültig verabschiedet und abends schon den eisigen Winter mit seinen langen Nächten erahnen lässt. Nach dem Westernfrühstück halftern wir unsere Pferde. In den ledernen Satteltaschen von heute stecken statt Gewehre schussbereite Digitalkameras. Der Rest ist stilecht, bis zum Cowboyhut. Dan setzt sich an die Spitze des Trecks, sein Bruder Terry passt hinten auf. Man kann ja nie wissen. Die ganze Gegend ist Grizzly- und Pumarevier. Meist kreuzen jedoch Rehe, Bergschafe, manchmal sogar Elche oder Biber unseren Weg. Garantiert immer jedoch die putzigen kleinen Murmeltiere. Der Naturpfad führt uns über bemooste Bergkuppen, durch sanfte Täler, nur schwer durchdringliche Fichtenwälder und klare Gebirgsbäche.

Am Horizont leuchten schon die schneebedeckten Berggipfel der kanadischen und amerikanischen Rockies, die im wechselnden Schein des Himmels ein bizarres Spiel von Licht und Schatten erschaffen. Die Blackfood Indianer nennen sie seit jeher ehrfurchtsvoll »Shining Mountains«, die Leuchtenden Berge, die Weißen hingegen »Crown of the Continent«, die Krone des Kontinents. Bei vielen Bergtouristen gilt der länderübergreifende Waterton Glacier International Peace Park als der schönste und wildeste Teil der gesamten Rocky Mountains. Die UNESCO listete ihn 1995 als Weltnaturerbe. Trotz alledem ist der Park bis heute fast menschenleer geblieben - die vielen Busladungen aus Korea und Amerika ergießen sich traditionell über den benachbarten Banff Nationalpark.

Reiten in den Leuchtenden Bergen verlangt echtes Können. Für leichte Ferienausritte ist dagegen die hüglige Gegend um »Mountain View« viel geeigneter, da sie einen Übergang von der absolut flachen Prärie zum Hochgebirge bildet. Am Grenzstreifen zu Montana kehren wir um, denn seit den Terroranschlägen vom 11. September lassen die Amerikaner niemanden mehr über die grüne Grenze. Und überhaupt, das Beste steht uns ja noch bevor: Die Open-Air-Badewanne mitten in unserem Urwaldcamp. Kein Wunder, denn selbst in der spätsommerlichen Jahreszeit kommt man als ungeübter Reiter ordentlich ins Schwitzen.

Unser Heißer Kübel, der Hot Tub, sieht aus wie ein zu groß geratenes, abgesägtes Whiskyfass. Da steht ein patentierter Schnorchelofen drin, den unser Cowboy mit schweren Holzkloben befeuert hat. Das Ofenrohr schaut dabei wie ein Schnorchel aus dem Wasser. Erst mit acht Leuten ist die Wanne voll. Klasse!

Derart entspannt schmecken die tellergroßen Steaks vom Grill danach einfach unwiderstehlich. Saftig, aromatisch, zart, das Kleinste nicht unter einem Pfund. Albertas Steaks seien eh die besten der Welt, meint der Rancher. Dazu gibt’s wie immer Weiße Bohnen.

Schon am nächsten Morgen heißt es Abschied nehmen. Wir ziehen weiter in den amerikanischen Teil des Peace Parks, in den nunmehr 100-jährigen Glacier Park nach Montana. Auf uns wartet schon die Going To The Sun Road, die uns direkt zur Sonnenseite des Lebens führen soll. Gerade 80 Kilometer ist sie lang, und es gibt wohl kaum eine zweite Straße auf der Welt, die auf so kurzer Distanz so viele Ausblicke von schier berauschender Schönheit freigibt. Hier kommt alles geballt zusammen: eiszeitliche Gletscher, Wasserfälle, reißend im Sommer, erstarrt im Winter, glasklare tiefe Gebirgsseen, schwindelerregende Steilwände und tiefe Schluchten, eine schier unendliche Anzahl von erodierenden Gipfeln, die sich irgendwo in den Wolken verlieren und von weißen Bergziegen bevölkert werden. Dichte Urwälder, durch die Wolfsrudel, Bären und Pumas, Vielfraße, Elche und Rehe streifen. Dazu eine Flora mit unglaublichen 1200 Spezies auf vier Klimazonen.

Wir halten kurz inne und verbeugen uns insgeheim vor der Kunst, die die Natur vollendet erschaffen hat.

  • Infos Alberta: Tel: (01805) 52 62 32 (0,14 €/min aus dt. Festnetz), E-Mail: info@infokanada.de, www.TravelAlberta.com oder www.canada.travel
  • Ranchurlaub: 3 Tage Reiten, 2 ÜN in Blockhütte inkl. VP kosten 440 € bei Mountain Meadow Trail Rides, E-mail: meadow1@telusplanet.net, www.mountainmeadowtrailrides.com
  • Angebote: Im Baukastensystem: Z. B. 3 Wo. Wohnmobil ab/bis Calgary ab 399 € pro Person; Waterton Lakes Lodge ab 24 €/ÜN pro Person bei Viererbelegung, Ranch-Aufenthalte individuell auf Anfrage. CANUSA TOURISTIK, Nebendahlstraße 16, 22041 Hamburg, Tel.: (040) 22 72 53-0, Fax: -53, www.canusa.de
  • Literatur: Kanada Westen, Baedeker Reiseführer, 7. Auflage 2011, Mairdumont, Ostfildern, 25,95 €
  • Vom 6. bis 15. Juli wird feiert das größte Rodeo der Welt, das »Calgary Stempede Rodeo« sein 100-jähriges Bestehen. Infos: www.calgarystampede.com
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