Vorfreude auf feiernde Briten

IOC-Vizepräsident Thomas Bach spricht über das deutsche Team, Doping und knifflige Nominierungsfragen

  • Oliver Händler
  • Lesedauer: 7 Min.
Thomas Bach steht als Präsident dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) vor und kleidet sich in London selbstverständlich in den Farben des deutschen Teams (Foto links). Dem langjährigen Vizepräsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) wird außerdem nachgesagt, 2013 Nachfolger von IOC-Präsident Jacques Rogge werden zu wollen. Bach erläutert im Gespräch mit Oliver Händler, warum der DOSB keine genauen Zielvorgaben an die deutsche Athleten in London stellt und warum das IOC der Opfer des Attentats auf israelische Sportler während der Spiele in München 1972 nicht bei der Eröffnungszeremonie gedenken will. Der Fechtolympiasieger von 1976 sieht den Kampf gegen Doping auf einem guten Weg, obwohl es wohl immer Betrüger geben werde.

nd: Herr Bach, welche Ansprüche adressiert der DOSB-Präsident an das deutsche Team kurz vor Beginn der Olympischen Spiele?
Bach: Dass jeder die letzten Tage nutzt, um intensiv zu trainieren. Mehr kann man von Athleten im unmittelbaren Vorfeld nicht erwarten. Man spürt, dass bei jedem eine gesunde Vorstartspannung da ist.

Warum nicht ein bisschen mehr Druck vom Dachverband?
Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich: Den größten Druck machen sich Athleten selbst. Diejenigen, die zu den Olympischen Spielen fahren, wollen alle was erreichen. Da braucht es von außen keine ungebetenen Ratschläge.

Für die deutsche Mannschaft haben Sie Platz 5 in der Nationenwertung als Ziel ausgegeben ...
… so konkret ist das nicht als Ziel ausgegeben. Der Maßstab ist Peking. Die Platzierung hängt schon davon ab, welche Statistik Sie heranziehen. Geht es nach der Medaillenanzahl oder nur nach den Goldmedaillen? Außerdem wird das der härteste olympische Wettbewerb sein, den es jemals gegeben hat. Die starken Nationen haben noch mehr in den Leistungssport investiert als je zuvor. Das gilt für China, die USA, Russland, Australien und insbesondere Japan und Südkorea, wo unvorstellbare Summen aufgewendet worden sind. Auf der anderen Seite können erfreulicher Weise immer mehr Nationen Medaillen gewinnen. Auch dadurch wächst der Konkurrenzdruck.

Wie soll dann der Maßstab Peking gehalten werden?
Die vielversprechenden Ergebnisse der deutschen Sportler in dieser Saison stimmen mich sehr zuversichtlich. Man sieht in vielen Sportarten starke Verbesserungen gegenüber Peking. In der Leichtathletik besteht die berechtigte Chance, dieses Mal mehr als eine Bronzemedaille zu gewinnen. Die Ruderer sind nicht nur im Achter verbessert. Die Kanuten konnten ihr extrem hohes Niveau halten. Die positive Entwicklung ist auch im Radsport erkennbar. Nur wenige andere Nationen sind so breit aufgestellt. Das ist Teil unserer Sportkultur und die wollen wir auch beibehalten.

Wie können Sie Erfolge langfristig sichern, da Sie von der Politik künftig kaum mehr Geld erwarten dürften?
Das Leistungssportfördersystem muss intensiv unter die Lupe genommen werden. Dabei kommt es auf zwei Faktoren an: Der Sport muss genau schauen, wo Effizienzsteigerungen in Förderung und Struktur möglich sind. Das betrifft Olympiastützpunkte, individuelle Förderung und die Sportwissenschaft. Auf der anderen Seite müssen wir aber in Gesprächen mit dem Bundesinnenministerium auch darauf hinweisen, dass entsprechende Mittel eingesetzt werden müssen, wenn wir weiter den Standard erhalten wollen, an der Weltspitze mitzumischen. Wir wissen auch, dass es schon bessere Zeiten gegeben hat. Aber wir glauben, dass diese Mittel sehr gut eingesetzt sind.

Jeder deutsche Olympiasieger bekommt 15 000 Euro. Im Vergleich zu vielen anderen Länder ist das wenig.
Die Sporthilfe leistet hier, was mit ihren Mitteln möglich ist. Wenn jemand Leistungssportler wird, um durch einen Olympiasieg ausgesorgt zu haben, dann würde ich ihm eher empfehlen, zur Lotto-Annahmestelle zu gehen (lacht). Wer im Moment des Matchballs an eine Prämie denkt, verschlägt ihn. Unser Sportsystem ist nicht daran ausgerichtet, dass ein Olympiasieg eine lebenslange Versorgung garantiert. Wir wollen Athleten die duale Karriere ermöglichen - Erfolg in Sport und Beruf. Das wird von einer großen Mehrheit der Athleten mitgetragen.

Welche Erwartungen knüpfen Sie an London ganz generell?
Ich erwarte brillante Spiele, die von großer olympischer Atmosphäre erfüllt sein werden. Die Briten sind sportbegeistert. Man darf nicht vergessen, dass die Mehrzahl der Sportarten, die dort betrieben werden, von Briten erfunden wurden. Oder sie haben die Regeln dafür geschrieben, um sicherzustellen, dass sie selbst nicht so schlecht abschneiden (lacht). Auch das Olympische Dorf ist wirklich exzellent. Gerade wenn sich die Athleten wohlfühlen und diese Begeisterung ausstrahlen, schlägt sich das schnell in der Bevölkerung nieder. Deshalb ist meine Vorfreude auf London riesig und ungetrübt.

Es gibt unter den Leichtathleten Diskussionen über die Nominierung von Hochspringerin Ariane Friedrich und Speerwerfer Matthias de Zordo, die beide die Norm nicht geschafft hatten. Marathonläuferin Anna Hahner verpasste die deutsche Norm nur um wenige Sekunden, die des Weltverbandes unterbot sie aber um Minuten. Warum ist sie nicht dabei?
Matthias de Zordo ist amtierender Weltmeister. Im Speerwerfen kann man immer einen weiten Wurf raushauen, der dann schon reichen kann. Auch Ariane Friedrich hat bei ihrem großartigen Auftritt in Berlin bei der WM gezeigt, dass sie es kann. Beide hatten viele Probleme in der Vorbereitung. Trotzdem haben wir das volle Vertrauen in sie, dass sie das Finale erreichen können und möglicherweise noch mehr.

Anna Hahner ist mit 22 Jahren schon hervorragende Zeiten gelaufen. Allerdings könnte sie in London selbst mit einer signifikanten Verbesserung damit kaum eine Platzierung unter den ersten zwölf erreichen. So ist es der langfristigen Entwicklung einer so jungen Läuferin vielleicht zuträglicher, ein Rennen weniger zu laufen und sich auf Rio de Janeiro 2016 konzentriert vorzubereiten. Daher hat sie der Deutsche Leichtathletik-Verband auch nicht zur Nominierung vorgeschlagen.

Wir erleben diesmal kein Organisationschaos wie vor Athen. Keinen Tibet-Konflikt wie vor Peking. Ist Ihre Vorfreude auf London so groß wie zuletzt vor den Spielen 2000 in Sydney?
Ach, vor Sydney mussten wir im Februar sogar noch zu einer Krisensitzung des IOC-Exekutivkomitees nach Australien fliegen, um dort einiges in Ordnung zu bringen. Es gibt bei einer Veranstaltung dieser Größenordnung immer Probleme bis zur letzten Minute. Vor Barcelona dachte man, das Stadion würde nicht fertig. Peking hatte seine eigene politische Dimension. Und so wird jetzt über Verkehr gesprochen. Der Vergleich von London mit Sydney passt aber bei der sportbegeisterten Bevölkerung, die auch im Feiern nicht schlecht ist.

Also ganz anders als Peking?
Die Faszination der Spiele lebt davon, dass sie immer wieder unterschiedlich organisiert und gefeiert werden. Wenn das jedes Mal das gleiche Fest wäre, würde es sehr schnell langweilig.

Das Thema Doping wird auch in London wieder eine Rolle spielen. Erwarten Sie Überraschungen?
Das ist keine Frage der Erwartungshaltung. IOC und DOSB müssen alles unternehmen, damit ein abschreckendes Antidoping-System etabliert wird. Gleichzeitig müssen wir aber auch erkennen, dass nie ein Stadium erreicht werden kann, wo niemand mehr versucht, sich unlautere Vorteile zu verschaffen. Es geht also nicht darum, wer oder wie viele positiv getestet werden, sondern darum, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, erwischt zu werden, wenn man dopt. Ich glaube, das kann man heute sagen.

Die nationale Antidoping-Agentur hat 2011 nur in vier Trainingskontrollen verbotene Substanzen gefunden. Steigert das Ihr Vertrauen in die deutschen Sportler oder Ihre Angst, dass das System nicht engmaschig genug ist?
Es steigert mein Vertrauen in die Sportler und in das System. Man erkennt die abschreckende Wirkung. Das ist aber kein Grund zur Selbstzufriedenheit. Doper werden raffinierter und deren Netzwerk professioneller. Deswegen muss man jeden Tag über Verbesserungen des Systems nachdenken.

Warum weigert sich das IOC, eine Schweigeminute für die Attentatsopfer von München 1972 in die Eröffnungszeremonie einzubauen?
Man kann diese Diskussion nicht auf die Schweigeminute bei der Eröffnungsfeier verengen. Man muss vielmehr abwägen, wie der Opfer am würdigsten gedacht wird. Das IOC ist in Übereinstimmung mit dem Nationalen Olympischen Komitee Israels und dem IOC-Mitglied in Israel zur Überzeugung gelangt, dass diesen Opfern in speziell ihnen gewidmeten Zeremonien am angemessensten zu gedenken ist. So wird es auch in London sein, am 6. August in der Guildhall. So war es auch bei den vergangenen Spielen seit 1976. Am 5. September gibt es außerdem in Deutschland zwei weitere Zeremonien: eine Kranzniederlegung am Ort der Geiselnahme und hinterher eine Gedenkfeier am Ort der Ermordung der Geiseln und des Polizeibeamten.

Waren Sie erleichtert, dass Saudi-Arabien doch zwei Sportlerinnen nach London schickt?
Ja, ich freue mich darüber sehr und beglückwünsche IOC-Präsident Jacques Rogge, der über Jahre hinweg kontinuierlich darauf hin gearbeitet hat. Sein Weg des ermutigenden Dialoges war der richtige.

Wollen Sie 2013 sein Nachfolger werden?
Die Frage ist nicht neu, und die Antwort auch nicht. Es ist noch zu früh für diese Entscheidung. Ich bin 2010 als Vizepräsident angetreten, um Jacques Rogge mit voller Kraft zu unterstützen. Es wäre ihm gegenüber nicht fair und nicht loyal, jetzt eine Personaldiskussion vom Zaun zu brechen, wo er noch über ein Jahr im Amt ist.

Wann dürfen wir denn eine andere Antwort erwarten?
Drei Monate vor der Wahl im September 2013 muss man seine Kandidatur erklären. Spätestens dann wird man es wissen.

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