nd-aktuell.de / 01.08.2012 / Kultur / Seite 1

Ist das noch Punkrock?

Ein Blick auf 30 Jahre Punk in Deutschland und seine Ursprünge

Sex Pistols, The Clash, Slime: Punkrock hat eine jahrzehntelange Tradition. In Deutschland feiern in diesem Jahr Die Ärzte und die Toten Hosen 30-Jähriges und fragen »Ist das noch Punkrock?«.
(dpa/nd). Ob die kreisenden Hüften von Elvis Presley oder Mick Jaggers herausgestreckte Zunge: Große musikalische Epochen beginnen oft mit Skandalen. Anfang der 1980er Jahre traten plötzlich Typen mit gefärbten Haaren und Nietenlederjacken auf und schockierten die bürgerliche Gesellschaft.

Mit rauer Rockmusik und viel Dosenbier schrieen sie an gegen Staat, Polizei und andere Autoritäten: Punk war geboren. Musikalisches Markenzeichen: Drei Akkorde und Viervierteltakt, musikalisches Talent eher nebensächlich. Seine Anfänge hat Punkrock in England: Die Sex Pistols und The Clash (»London Calling«) feierten schon Mitte/Ende der 70er Jahre ihren Durchbruch. Hierzulande sind es vor allem die Toten Hosen und die Ärzte, die für dieses zumindest anfangs sehr rebellische Musikgenre stehen. Beide Bands formierten sich 1982 und verkauften später Millionen von Platten.

Die Pionierarbeit im deutschen Punkrock leisteten indes andere Bands. Slime aus Hamburg zum Beispiel, die schon 1979 im Musikzimmer eines Gymnasiums die ersten Gitarrenriffs probten. Singen konnte zwar keiner der Jungs so richtig, für Furore sorgten die Songs von Slime trotzdem. »Bullenschweine« von 1980 etwa, der zur Gewalt gegen Polizisten aufruft und auf dem Index steht. Heute würde Slime wohl anders texten, für einen alternativen Lebensentwurf abseits des Durchschnitts steht die Band aber immer noch. Als eine der einflussreichsten deutschen Punkrocker haben die Hamburger manche Gruppe auch anderer musikalischer Richtung geprägt.

»Man kann gar nicht unterschätzen, wie sehr Punkrock die Musikwelt verändert hat«, sagt Oliver Uschmann, Redakteur beim Musikmagazin »Visions«. Grundhaltung der Punkbewegung sei von Anfang an gewesen: Jeder kann zum Instrument greifen und auf die »Pauke hauen«.

Ohne diese Attitüde wäre etwa das Musikphänomen Grunge um Nirvana, Kultband der neunziger Jahre, nie denkbar gewesen, meint Uschmann. Nach ihrem Durchbruch war die US-amerikanische Gruppe (Smells Like Teen Spirit) zwar kommerziell sehr erfolgreich - gerade Sänger Kurt Kobain demonstrierte aber immer wieder seinen Hass auf die Strukturen der weich gespülten Pop- und Kulturindustrie.

»Ist das noch Punk« - mit dieser Frage werden dieser Tage auch die Ärzte und die Toten Hosen konfrontiert. Beide Bands sind im Jubiläumsjahr 2012 auf Tour und füllen mit ihren Charthits Fußballstadien und große Hallen. Das in diesem Jahr erschienene Album der Ärzte »Auch« fragt im ersten Song »Ist das noch Punkrock?« genau danach. Schon längst bespielen Ärzte und Hosen keine kleine ausgewählte Zielgruppe mehr, sondern sind Mainstream. Doch beispielsweise die Ärzte haben nie einen Hehl daraus gemacht, auf Spaßpunk aus zu sein - und früher noch mehr auf Provokation als heute -, politische oder gesellschaftskritische Texte waren indes nie alleiniges Ziel der Band. Auch auf der neuen Platte gibt es mit »Das darfst du« oder »Bettmagnet« Songs, die über jenen bloßen Unterhaltungswert hinaus gehen. Doch schockiert ist da keiner mehr, und die Songs werden genau von den bürgerlichen Leuten mitgesungen, die Punk immer aufs Korn nahm. Andererseits ist da nach wie vor die künstlerische Freiheit, die sich gerade die Ärzte bis heute herausnehmen und immer wieder etwas anderes machen. Diese »Geisteshaltung« sei eindeutig Punk, meint Musikexperte Uschmann.

Auch vermeintlich weniger talentierte Musiker dürfen sich also in Zukunft ermutigt fühlen: einfach ein Instrument in die Hand nehmen und loslegen. Oder, wie es modern ist, daheim den Computer anschalten und elektronische Töne erzeugen. Ganz ohne Proberaum. Auch wenn sich das Ergebnis dann Electropunk, Techno oder sonst wie nennt: »Musikalisch wird Punk so immer weiterleben«, sagt Uschmann.