Gold für Gollito und Gofio für alle

Fuerteventura: Tourismus hat wahrlich nicht nur gute Seiten, doch diese Insel bewahrte er vor dem Ab- und Aussterben

  • Michael Müller
  • Lesedauer: 7 Min.

Die Zutaten sind so übersichtlich wie archaisch. Mehl von gerösteter Gerste mit einem bisschen Olivenöl, Zucker, Salz und Wasser. Nicolas Rodriguez tut das alles in ein längliches Säckchen aus Ziegenleder und walkt es kräftig durch. Heraus kommt Gofio. Seit fünf Jahrtausenden ein Grundnahrungsmittel auf Fuerteventura, der mit Lanzarote östlichsten, will heißen: afrikanächsten Kanareninsel. Heute könnte man es auch gut Doping oder Viagra nennen, sagt der 62-Jährige augenzwinkernd. Sich der Ahs und Ohs seiner meist touristischen Zuschauer im zentralinsularen Dörfchen Tiscamanita sichtlich bewusst, reicht er das teigartige Etwas dann zum Kosten herum. Interessant, meint der eine oder die andere artig, um dann anschließend beflissen auch noch ein Päckchen zu kaufen. Interessant ist indes weniger der Geschmack. Wirklich bemerkens- und nachdenkenswert ist vielmehr, dass der Hauptbestandteil dieser uralten Nationalbrotzeit, nämlich Getreide, hier schon seit langem nicht mehr angebaut wird, sondern importiert werden muss.

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Fuerteventura kennt man als die von Europa aus stets gut gebuchte feinsandige wie breitstrandige Badeinsel, als Surferparadies, als - so man sich auf ihn einlässt - wanderweit kahl-karstigen Ruhepol fürs Gemüt. Zum Kanarischen Archipel (und damit zu Spanien) gehörend, rund 120 Kilometer westlich vor der marokkanischen Küste im Atlantik, sind Luft wie Wasser sehr angenehm temperiert, weil die nahe Glut der afrikanischen Wüsten im beständigen Passat verglüht.

Normalerweise bleiben Touristen an den Stränden. Ausflüge zu Dörfern und Städtchen im Hinterland der Insel, die knapp doppelt so groß wie Rügen ist, werden wenig gebucht. Ein Grund dafür: Man fährt durch blanke Ödnis. Bei der es sich genau genommen allerdings um Kulturlandschaft handelt. Allerdings der schlechten und warnenden Sorte. Denn wo sich glatzige Hügel wellen, standen einst dichte Wälder; heute wachsen kaum noch knöchelhohe stachlige Büschlein. Wo ab und an wieder, mühevoll neu angesiedelt, Palmen- oder Akazienhaine grüne Landschaftspunkte setzen, wogten einst Getreidefelder; Fuerteventura war Kornkammer der Kanaren.

Dass der Gofiomacher hauptamtlich als Müllermeister einer restaurierten Windmühle wirkt, mag zwar irgendwie ins touristische Folklorebild passen, ist aber genau genommen eine Art Rittertum der traurigen Gestalt. Auf Fuerteventura strecken nämlich Dutzende auf Grund des Niedergangs der Getreidewirtschaft ausgemusterte Windmühlen ihre Flügel in den Himmel. Zwar reizvoll und fotogen, aber eben auch nutzlos und mahnend. Ihre Arbeit haben nicht - wie vergleichsweise in Mitteleuropa - irgendwelche Elektromühlen übernommen. Sie sind im Zuge der agrarwirtschaftlichen Verarmung der jüngeren Vergangenheit einfach überflüssig geworden. Erst hatte zu Beginn der Neuzeit der expandierende Schiffbau der Spanier die bewaldeten Hügel kahl gefressen; Dach und Gebälk der alten Kirchen der Insel wurden noch aus einheimischen Stämmen gezimmert. Später trieb dann die kapitalistische Industrialisierung die Einheimischen dazu, auch noch den letzten Dornenbusch als Brennmaterial für die Kalkproduktion zu verheizen. Den kärglichen Rest erledigte eine völlig weidezaunlose Ziegenhaltung.

So gesehen drohte Furteventura vor etwa 40 Jahren ab- und aussterben. Inzwischen ist die Insel ein Beispiel für die lindernde bis belebende Wirkung, die der Wirtschaftszweig Tourismus entfalten kann. Er hat, bei aller Kritik und allen berechtigten Vorbehalten, nicht nur den Bevölkerungsrückgang gestoppt, sondern auch die Rekultivierung auf eine zwar langsame, aber dennoch spürbare Bahn gebracht.

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Gut sichtbar ist das beispielsweise entlang der Südostküste zwischen Costa Calma und Morro Jable. Die Urlaubsanlagen sind hier frisch umwaldet und gut begrünt. Überall wird dazu aufbereitetes Brauchwasser benutzt; Wasser hat die Insel ausreichend. Um es zu heben, wirbeln viele windgetriebene Pumpen, die die Einheimischen nach dem Ursprungstyp »Chicago-Motors« nennen. Wasserleitungen können übrigens, da es ja nicht friert, einfach überirdisch verlegt werden. Die schwarzen Schlangen sehen im Gelände zwar ein wenig irritierend aus, sind aber pflege- und wartungsleicht - bis auf die Attacken einer eingeschleppten afrikanischen Erdhörnchenart. Die possierlichen Tierchen knabbern an dem Plastmaterial wie in Mitteleuropa die Marder an den Automotorschläuchen.

Der vulkanische Boden lässt bei guter Bewirtschaftung jährlich sogar mehrere Gemüse- und Kartoffelernten zu. Sowohl für die Versorgung der Tourismuszentren als auch zunehmend für den Eigenbedarf. Neu im Förderprogramm der Inselregierung ist der Anbau von Oliven und Aloe vera. Natürlich werden nach wie vor Ziegen gehalten (davon soll es mit 65 000 übrigens weit mehr geben als Insulaner!). Längst allerdings in eingezäunten Areals. Bei Verstößen sind Bußgelder bis zu 1000 Euro angedroht. Wird nicht gezahlt, werden die eingefangenen Ziegen meistbietend zum Nutzen der Gemeindekasse versteigert, war dieser Tage als neue Anordnung in der Lokalpresse zu lesen.

Die Rasse »Cabara majorera«, sagt Ziegenwirt Alvaro Banez, gibt bis zu vier Liter Milch täglich. Das hört sich angesichts der Weiden, die diesen Namen kaum verdienen, weil sie nur aus Sand und Steinen zu bestehen scheinen, geradezu fantastisch an. Aber auch die Qualität stimmt. Wovon sich, wer mag, bei jedem Frühstück mit »al pimenton« oder einfach mit »al natural« überzeugen kann.

»Historisch gesehen kommen viele unserer Umweltaktivitäten leider sehr spät, aber wohl noch nicht zu spät«, meint Soraya Fer᠆nandez, die von der Insel stammt, an der Universität Cordoba als Agrarwissenschaftlerin promovierte und nun solche Projekte fachlich begleitet. »Wir haben eben afrikanisches Blut, arbeiten mehr aus dem Handgelenk, wie man bei uns sagt. Sind aber hartnäckig, Sachen durchzuziehen.« Zu Letzterem gehört beispielsweise auch die weitgehende Eindämmung von Landkäufen durch private ausländische Schnäppchenjäger. Die werden jetzt allein schon wegen der äußerst kostspieligen Umweltauflagen abgeschreckt.

Angelockt werden indes weiterhin Urlauber aus Europa. Denn für zwei, drei Wochen seelebaumelnde Erholung findet man im Radius von vier Flugstunden kaum bessere Plätzchen. Die Strände, von bleichweiß bis pudelschwarz, sind teilweise traumhaft. Der Kanarenstrom bringt reine Meeresluft, die kein Tropenklima aufkommen lässt und für klimatische Harmonie sorgt. Die Temperaturdifferenz liegt im Jahresdurchschnitt bei nur etwa fünf Grad. Regen fällt zwischen Ende Oktober und Januar. Gewöhnungsbedürftig ist allein die Caliba genannte Wetterlage, bei der viel feiner Sand in der Luft ist, was für unvorbereitete Kontaktlinsenträger ärgerlich werden kann.

Auf geradezu paradiesische Verhältnisse treffen Windsurfer und Kiteboarder. Alle Jahre kommen sie Anfang August an die Playa Sotavento zu ihrem Weltcup. Gold im Freestyle-Wettbewerb gewann vor zwei Wochen das venezulanische Surfwunderkind Jose Estredo, den alle in der Szene nur »Gollito« rufen. »Wenn ich mal von zu Hause bei uns absehe, ist Fuerteventura schon meine Lieblingsdestination«, schwärmt der 21-Jährige, der von der Karibikinsel Isla de Margarita stammt, artig in Kameras und Mikrofone. Jährlich Abertausende Surffreaks dürften ihm da recht geben. Denn auch sie kommen hierher zur Jandia-Halbinsel ganz unten im Süden. Zwischen zwei Bergzügen erfährt der Nord-Ost-Passat einen Düseneffekt, so dass er monatelang mit mäßig bis frischer Brise (Bft-Stärke 4 bis 5) aufs Meer trifft. Die richtige sportliche wie unternehmerische Nase dafür hatte übrigens vor 30 Jahren ein Schweizer. René Egli unterhält inzwischen ein Surfcenter mit mehreren Stützpunkten und insgesamt 1500 (!) Leih-Brettern.

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Das mag sich alles nach viel Juniorenwahn anhören. Aber auch die gemeinhin verhaltener surfenden Senioren sind auf Fuerteventura gut aufgehoben. Nicht zuletzt wegen der bei den Einheimischen, deren Urvorfahren übrigens Berber waren, geradezu sprichwörtlich ausgeprägten Generationssolidarität. Oma und Opa bleiben hier beispielsweise generell in der Familie und besuchen - ähnlich wie deutsche Kinder den Hort - stundenweise Tagesseniorenhäuser, um dort zu handwerkeln, Karten zu spielen, Musik zu machen, Vorträge zu hören oder auch nur zu plaudern. Diese insulare Einstellung zum Alter färbt durchaus auf den Service in den Hotels ab. Auch deshalb, nicht nur wegen des Klimas, bleiben deutsche Rentner zunehmend den ganzen Winter über da. Aber vielleicht ja auch wegen der stimulierenden Wirkung von Gofio.

  • Infos: Spanisches Fremdenverkehrsamt Berlin, Postfach 31 17 06, 10654 Berlin, www.spain.info
  • alltours flugreisen, Am Innenhafen 8-10, 47059 Duisburg, Tel: +49 (0)2 03-36 36 360, www.alltours.de
  • Tourist Offices Vuerteventura, Corralejo Tel +34 928 86 22 35, Caleta de Fuste Tel. +34 982 16 32 86, Jandina Tel. +34 928 54 07 76, www.fuerteventura.com
  • Windsurfing & Kiteboarding René Egli S.L., Meliã Gorriones, Playa Sotavento, 35628 Fuerteventura, Tel: +34 928 54 74 83, www.rene-egli.com
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