Was droht Assange in den USA?

Die Gefahr einer Todesstrafe besteht - ein altes Spionagegesetz ist noch in Kraft

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 4 Min.
Julian Assange hatte bei seinem Auftritt auf dem Balkon der ecuadorianischen Botschaft in London die »Hexenjagd« der USA auf ihn und die Plattform Wikileaks verurteilt. Aber droht ihm, wie immer wieder kolportiert, wirklich die Todesstrafe, sollte er nach Schweden und von dort in die USA ausgeliefert werden?

Von der Gefahr, in den USA zum Tode verurteilt zu werden, sprach Julian Assange selbst bisher noch nicht. Er spricht stattdessen von »politischer Verfolgung« und einem »Krieg gegen Whistleblower«. Aber zweifellos hat der Wikileaks-Mitgründer den Zorn von Politikern und Medien in den USA auf sich gezogen, seit die Enthüllungsplattform mehrmals Dokumente veröffentlichte, die für das Krieg führende Militär in Irak und in Afghanistan entlarvend und für USA-Diplomaten höchst peinlich sind. Präsident Barack Obama nannte Assange auch ohne Gerichtsverfahren »schuldig«.

Die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Senat, die Demokratin Diane Feinstein aus Kalifornien, behauptete schon 2010 im »Wall Street Journal«, Assange sei kein Journalist, sondern ein »Agitator, der unserer Regierung zu schaden beabsichtigt«, und müsse deshalb als »Spion« angeklagt werden. In konservativen Medien wurde sogar der Ruf nach seiner Liquidierung laut.

Julian Assange habe in den USA »Schlimmes zu befürchten«, glaubt deshalb der Menschenrechtsanwalt Michael Ratner, ehemaliger Vorsitzender des New Yorker »Center for Constitutional Rights« und Mitglied des internationalen Anwälteteams, das den Wikileaks-Aktivisten berät. Es gebe »keinen Zweifel«, dass er im Visier der Bundesbehörden steht. Es gebe Beweise, dass eine geheime »Grand Jury« in Alexan-dria im Bundesstaat Virginia eine Anklage vorbereite. Ratner weiß zudem von einer Akte der Bundespolizei FBI über Assange, die 42 135 Seiten umfasst. Und er zitiert einen FBI-Mann, der bei einer Verhandlung gegen Bradley Manning davon sprach, dass »gegen Gründer, Besitzer und Manager« von Wikileaks ermittelt werde. USA-Behörden verneinen jedoch bis heute offiziell, Interesse an Assange zu haben - was bei Rechtsexperten ein mildes Lächeln auslöst.

In den USA gehen die Meinungen von Juristen und Menschenrechtlern über ein mögliches Todesurteil gegen Assange auseinander. Einigkeit besteht darin, dass Assange - falls Washington ein Auslieferungsgesuch stellt - wahrscheinlich auf der Grundlage eines Gesetzes aus dem Ersten Weltkrieg angeklagt werden würde, dem bis heute gültigen »Espionage Act« von 1917. Es war das erste Gesetz in den USA, das es erlaubte, gegen ausländische Spione auf US-amerikanischem Boden vorzugehen. Es diente als Grundlage für einen der berüchtigtsten nationalen Justizfälle: die Verurteilung und Hinrichtung von Julius und Ethel Rosenberg wegen Spionage für die Sowjetunion.

In seiner 95-jährigen Geschichte wurde das Gesetz nur wenige Male wegen des Vorwurfs der illegalen Informationsweitergabe gegen »Whistleblowers« angewendet. Im Fall Daniel Ellsbergs, der während des Vietnamkriegs die berühmten »Pentagon-Papiere« an die »New York Times« weitergab, blieb es bei der Drohung, das Gesetz zu bemühen. 1985 versuchte die Reagan-Regierung, einen Fotoexperten im Pentagon, der Bilder an eine britische Zeitschrift weitergegeben hatte, nach dem »Espionge Act« verurteilen zu lassen - erfolglos. Auch im jüngsten Fall, bei dem es 2005 um die widerrechtliche Weitergabe von Informationen durch Pentagon-Angestellte an die israelische Regierung ging, scheiterte die Regierung. Denn das Gericht befand, dass diese Informationsweitergabe unter das von der Verfassung garantierte Recht auf freie Meinungsäußerung falle.

Der Juraprofessor und Experte für nationale Sicherheit von der American University in Washington, Steve Vladek, sagte in einem Interview mit der linken Zeitschrift »The Nation«: In jedem Fall der jüngeren Vergangenheit habe die jeweilige Regierung den »Espionage Act« zum »Testfall« machen wollen, sei jedoch an der zu hohen Beweislast gescheitert.

Auf den Fall Assange angesprochen, räumt Vladek aber ein, dass der australische Staatsbürger, wenn er sich auf USA-Territorium aufhielte, durchaus nach dem »Espionage Act« angeklagt und schlimmstenfalls auch zum Tode verurteilt werden könnte - »theoretisch«, wie der Juraprofessor hinzufügte. »Praktisch« sei das unwahrscheinlich. Denn Washington sei trotz der Forderungen von Politikern und Medien nach einer scharfen Bestrafung Assanges »zögerlich«, das Antispionagegesetz zu bemühen.

Denn es sei »völlig unklar«, wie weit die Anklage gefasst werden könne. »Wenn man gegen Informationsgeber oder gegen Empfänger von Informationen vorgeht«, fragt Vladek, »weshalb dann nicht auch gegen die ›New York Times‹, die das Geheimmaterial ebenso wie Wikileaks veröffentlicht hat?« So sehr die USA-Regierung Julian Assange aus dem Weg räumen wolle, so wenig werde sie sich mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und der Freiheit der Presse anlegen können.

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