Rote Schwarzseher?

Das Internet ist gekommen, um zu bleiben

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Blogger und Netzexperte Till Westermayer über die netzpolitische Konferenz "Netz für alle", digitale Schwarzmalerei der LINKEN und Voraussetzungen für digitale Demokratie.
nd: LINKE-Bundestagsfraktion und Rosa-Luxemburg-Stiftung laden am Wochenende zur netzpolitischen Konferenz nach Berlin. Dort wird über Kontrolle und Überwachung im Internet diskutiert, über Konzerne und Marktmacht, über Drohnen und Wanzen. Zu viel Schwarzseherei?
Westermayer: Ja. Wenn ich an Netzpolitik denke, habe ich zuerst nicht die Partei DIE LINKE vor Augen, das linke Spektrum schon eher. Aber wenn immer Linke in diesem Feld aktiv sind, dann geht es nach dem Schema: »Achtung, Überwachung!« Oder: »Irgendetwas ist gefährdet oder bedroht, wir müssen eingreifen oder regulieren!«

Was wäre die Alternative?
Ein Aspekt wird gerne übersehen: Die Informationstechnik ist die Basis des Postfordismus. Sie ist eine Voraussetzung dafür, dass neoliberale Steuerungsinstrumente überhaupt funktionieren. Die Wissens-, Kommunikations- und Informationsstrukturen erlauben erst die Flexibilität und Selbstausbeutung in der Arbeitswelt. Ich würde mir von der LINKEN wünschen, dass sie dazu eine Position entwickelt – und dabei anerkennt, dass das Internet gekommen ist, um zu bleiben.

Was die elektronische Demokratie betrifft, erwägen die Veranstalter immerhin, sie könne »Beteiligung für alle« ermöglichen.
Was mich als Mitdiskutant an diesem Panel stört, ist, dass es dabei wohl vor allem um Nutzung elektronischer Demokratie durch Parteien gehen soll. Spannender fände ich es, über Open Data als Voraussetzung für digitale Demokratie zu diskutieren – dabei geht es darum, dass der Staat den Bürgern Daten umfassend und kostenlos zur Verfügung stellt. Wichtig finde ich auch die digitale Bürgerbeteiligung. So könnten Diskussion um Großvorhaben durch Netzplattformen unterstützt werden. Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg beispielsweise etabliert eine Netzplattform, die so etwas ermöglicht.

Wäre die Debatte um Stuttgart 21 dann anders verlaufen?
Spannende Frage! Stuttgart 21 ist ein sehr emotionales und heißes Thema – ich glaube nicht, dass das Netz bei solchen Themen viele Vorteile mit sich bringt. Gegner und Befürworter hauen sich in Internetforen noch immer die Argumente um die Ohren. Wer sich nicht auf eine Debatte einlassen will, tut das auch im Netz nicht.

Vielleicht treffen sich die Streithähne am falschen Ort. Die Beteiligungsplattform Liquid Feedback (LQFB) erzwingt Konstruktivität.
Fraglich! Hinter LQFB steckt aber auch eine bestimmte Idee von Demokratie: Die Nutzerin delegiert Verantwortung an thematische Experten. Das LQFB-Ergebnis soll dann bindend sein – ein imperatives Mandat. Ein Kernelement von Demokratie soll auf einen neuen Modus umgestellt werden. Das wäre nicht nur ein Bruch mit all unseren demokratischen Gepflogenheiten. LQFB-Debatten sind aus meiner Sicht auch nicht kompatibel damit, wie Gesetzgebungsverfahren in den Parlamenten ablaufen.

Eventuell kann LQFB im Gesetzgebungsverfahren nützen. Berlins Piratenfraktionschef Christopher Lauer holt sich Inspirationen durch LQFB-Nutzer und lässt die teilweise in Anträge einfließen.
Wunderbar! Aber das kann man auch über andere Plattformen machen – von der klassischen E-Mail bis Facebook. Oder im persönlichen Gespräch.

Till Westermayer ist Blogger, Netzexperte und Grünen-Berater in Baden-Württemberg.

"Netz für Alle" - die 2. netzpolitische Konferenz der Fraktion DIE LINKE im Bundestag und der Rosa-Luxemburg-Stiftung findet am Samstag, den 15. September in Berlin statt.

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