Brüchige Symbole

Das Haus der Kulturen der Welt stellt sich selber aus

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.
Sehr aufgeräumt kommt einem derzeit das Haus der Kulturen der Welt vor. Durch die oft zugestellte Fensterfront der großen Ausstellungshalle strömt Tageslicht in den Bau. Die Türen hinaus zum Wasser, aber auch auf die Dachebene und in den großen Konferenzsaal sind geöffnet. Sogar in kleinere Funktionsräume wie etwa die Lautsprecherkabinen kann man jetzt gehen. Zeichnungen, die verborgen waren, werden präsentiert.

Die Ausstellung »Between Walls and Windows« macht die spektakuläre Hülle des Hauses der Kulturen der Welt zum Thema. Und viele Besucher nehmen die Einladung an, mit Audioguides ausgerüstet auch die letzten versteckten Winkel des Gebäudes zu erkunden und künstlerischen Auseinandersetzungen über Architektur und Ideologie sowie die Brüchigkeit der damit betriebenen Symbolpolitik zu folgen.

Im Raum manifestierte Ideologie ist der 1957 als Kongresshalle errichtete Bau tatsächlich. Die geschwungene Dachkonstruktion sollte nach Maßgabe der Initiatoren, dem US-Außenministerium, nicht nur Freiheit und Großzügigkeit symbolisieren. Der kühne Bogen wurde sogar auf einem künstlichen Hügel platziert, damit er vom Osten aus besser wahrzunehmen war. Er bekam den Beinamen »Leuchtturm der Freiheit«. Durchgesetzt hat sich freilich die saloppere Bezeichnung »schwangere Auster«. Und als am 21. Mai 1980, pikanterweise während eines Kongresses des Rings Deutscher Makler, die Dachkonstruktion einstürzte, konnte man dies, zumindest vom Osten aus, auch als Zeichen handwerklicher Fehler beim Freiheitsversprechen lesen. Wegen einer Verkettung von Konstruktions- und Materialfehlern – die US-Architekten hatten die Witterungseinflüsse auf den Beton schlecht kalkuliert – zerschellte dieser »Leuchtturm der Freiheit« und wurde erst neun Jahre später – zeitgleich wurde das größte Berliner Flächenbauwerk, die Mauer, immer poröser – in neuer Funktion als Haus der Kulturen der Welt wiedereröffnet. Dessen schöner Anspruch, die kulturelle Polyphonie der Erde unter der Beachtung der Gleichgewichtigkeit der Stimmen hörbar zu machen, erhielt spätestens im Mai 2010 mit der öffentlichen Reflexion des damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler über von der Bundeswehr auch fern der eigenen Grenzen zu schützende Wirtschaftsinteressen Deutschlands einen anderen argen Dämpfer.
Umso schöner ist, dass diese versteckte Geschichte zum Thema gemacht wird. Auf die ideologischen Komponenten der Baugründung und den Einsturz macht der kroatische Künstler Marko Sancanin aufmerksam. Er legte nicht nur ein konstruktivistisch anmutendes Wandgemälde des Architekten Hugh Stubbins frei, auf dem dieser die Dachkonstruktion mit feinem Strich andeutete. Auf der Rückseite des kürzlich erst gefundenen Bildes platziert er Fotos vom eingestürzten Gebäude. Autos sind dort von Betonteilen zerknautscht. Wie mit Lumpen bedeckt wirkt die geborstene Hülle.

Den Kontext ideologischer Architektur-Inszenierung reißt der kanadische Künstler Terence Gower mit seiner »Baghdad Case Study« auf. Er erläutert anhand der ebenfalls 1957 entstandenen US-Botschaft in Bagdad die Zeichensetzung von Transparenz und Verneigung vor lokalen Bautraditionen, die ein knappes halbes Jahrhundert später nicht nur durch den Krieg, sondern auch durch den Festungsbau der aktuellen US-Botschaft in Irak konterkariert wurde.

Auf die lokale Berliner Eigenart der durch den Kalten Krieg ausgeprägten kulturellen Doppelstruktur (das betrifft Opern, Theater, Museen, Universitäten und selbst die beiden Kongresshallen) weist die Initiative Weltkulturerbe Doppeltes Berlin hin, die ihr Emblem zweier Rücken an Rücken gelehnter Bären zeigt.

Weitere Künstlerinterventionen weisen leider schwächere Qualität auf, etwa Angela Ferreiras Videoüberblendung der Sprengung eines von der Kolonialmacht Portugal in Mosambik hinterlassenen Hotelrohbaus.

Doch selbst wenn manche Position enttäuscht, so ist doch der Versuch, den Bau selbst sprechen zu lassen, eine so subtile wie gelungene Strategie. Bleibt zu hoffen, dass die Dachterrasse auch nach dem Abbau der Kunstwerke weiter zugänglich bleibt.

Bis 30.9., Haus der Kulturen der Welt
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