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Konferenz im Auswärtigen Amt

Menschenrechtsorganisationen fordern den freien Zugang zum Internet

  • Thomas Klatt
  • Lesedauer: 4 Min.
Auf einer internationalen Konferenz im Auswärtigen Amt diskutierten diese Woche Experten das Für und Wider des Internets für die Durchsetzung von Menschenrechten. Veranstalter waren neben dem Auswärtigen Amt die Universität Aarhus, Human Rights Watch und das Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft.
Orwell war ein Optimist! Wenn der Science-Fiction-Autor auch nur annähernd die Möglichkeiten des Internets im 21. Jahrhundert erahnt hätte, so wäre seine Big-Brother-Vision noch wesentlich düsterer ausgefallen, meint die US-amerikanische Internet-Expertin Karen Reilly. Denn es sei heute relativ einfach, E-Mails abzufangen und diese auf einen eigenen Server umzuleiten. Auch können Suchanfragen im Internet leicht auf andere Seiten umgeleitet werden. Statt zum Beispiel Informationen etwa über einen Bürgerprotest im Stadtteil zu erhalten, landet der Surfer nur auf Seiten über ein buntes Bürgerfest, das zeitgleich wenige Straßen weiter stattfand. Auch Journalisten seien so via Internet manipulierbar.

Daher hat Reilly mit Gleichgesinnten das www.torproject.org gegründet. Es vereint weltweit sichere Server, die dafür sorgen, dass E-Mails auch wirklich nur zu denjenigen gelangen, an die sie adressiert sind. Mit Hilfe dieses nichtkommerziellen Netzes kann man surfen und publizieren sowie Instant Messaging und weitere Dienste nutzen, ohne Spuren im Internet zu hinterlassen. Nach den USA und Deutschland ist mit 50 000 Nutzern mittlerweile in Iran die drittstärkste Gruppe des tor-Projekts entstanden. Das sei auch kein Wunder, könne man doch das Mullah-Regime als Feind des Internets bezeichnen, meint die iranische Bloggerin Maryam Mirza. Nicht umsonst haben nach der gescheiterten Grünen Revolution 2009 viele Oppositionelle das Land verlassen müssen. Es herrsche eine gewisse Paranoia in der iranischen Regierung, als würde jeder iranische Facebook-Eintrag automatisch eine Gefährdung der Macht darstellen, sagt die junge Frau, die von ihrem deutschen Exil aus zusammen mit »Reporter ohne Grenzen« für ein freies Internet in ihrer Heimat kämpft.
Auch in Syrien ist der freie Internet-Zugang praktisch nicht möglich. So müsse man dort etwa seine Telefonnummer angeben, um sich bei Facebook anmelden zu können. »In anderen Ländern muss man seinen Namen angeben«, beklagt Stephan Urbach von Telecomix. Von Europa aus versucht die Internetgruppe, Bloggern und Oppositionellen die freie Rede in einem freien Internet zu ermöglichen. Während des durch die ägyptische Regierung veranlassten Internet-Blackouts Anfang 2011 baute Telecomix eine parallele Infrastruktur auf. Sie stellten alte Modem-Hardware über ihre privaten Nummern als Einwahlpunkte zur Verfügung und faxten diese Nummern an öffentliche Einrichtungen, Universitäten oder Hotels in Ägypten. Ähnlich agiert die Gruppe derzeit auch in Syrien.

Die Aktivisten vom Tactical Technology Collective dagegen geben auf ihrer Webseite erst einmal Tipps und Regeln für ein sichereres Internet. Ihr digitaler Überlebensratgeber rät Nutzern dazu, nicht zu red- und vertrauensselig zu sein. Denn das Internet ist nicht sicher! Und das gilt auch in demokratischen Staaten.

Der Südafrikaner Chris Böhme hat mit seiner Firma die Open-Source-Spyware paterva.com entwickelt. Damit lassen sich ganz legal die digitalen Fußspuren verfolgen, die jeder permanent im Internet hinterlässt. Zum Beispiel lässt sich schnell die Online-Identität ermitteln. Böhme demonstriert dies anhand der Airbus-Webseite. Relativ schnell findet er mit seinem Suchprogramm die E-Mail-Adressen der Mitarbeiter, die mit Bild und Biografie einen Facebook-Account angelegt haben. »Besonders verräterisch sind Bilder. Twitter ist ein offenes Buch. Es lassen sich schnell die Bilder finden, die ein User gepostet hat. Es lässt sich sogar darstellen, wann, von welchem Gerät gesendet und an welchem Ort dieses Bild gemacht wurde. Zu große Online-Präsenz kann fast unkontrollierbar persönliche Informationen streuen«, warnt der südafrikanische Internet-Experte.

Die Blogger und Aktivisten in Unrechtsregimen zu unterstützen ist das eine, für das freie Internet internationale Standards zu setzen und deren Einhaltung zu überwachen das andere. Und dieses Recht gelte offline wie online, meint der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Meinungsfreiheit, Frank La Rue. »Es ist ein Medium in Echtzeit, ein soziales, ein politisches Medium. Aber das heißt nicht, dass eine Webseite mächtiger wäre als etwa eine klassische Telefonkette, um zum Beispiel zu einer Demo oder anderen politischen Aktion aufzurufen. Dennoch geraten gerade Internet-Aktivisten und Blogger viel schneller in den Fokus staatlicher Verfolgung«, warnt La Rue. Daher bräuchten gerade Internet-Aktivisten verstärkt internationalen Schutz.

Man müsse jedoch nicht nur staatliche Stellen, sondern auch die Unternehmen zur Verantwortung ziehen, mahnt Arvind Ganesan von Human Right Watch. Die Dinge hätten sich seit 2006 gewandelt. Yahoo oder Microsoft hätten damals noch bereitwillig Nutzer-Daten an China preisgegeben. Heute käme das nicht mehr vor. Solche Weltkonzerne akzeptierten heute ihre Verantwortung für Internet- und Menschenrechte, erklärt Ganesan. Wer aber kontrolliert den Staat? »Welche Spyware benutzt ihr, um eure Regierung in Deutschland zu überwachen?«, wird die Aussage von einem chinesischen Blogger auf der Berliner Konferenz kolportiert.
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